Der documenta-15-Blog

- von Juni bis September 2022 fand in Kassel die 15. documenta statt. Hier teilt das Carottenkollektiv Beiträge, Infos und Erlebnisse, die in der Regel nicht in der von den lokalen Politiker*innen und Milliardär*innen kontrollierten Presse erscheinen -

Gesellschaft für kulturelle Teilhabe in Kassel - ein Blog der Carottenkollektivgruppe 
Schon im Vorfeld der documenta 15 wurde deutlich, dass die lokale Organisation sich ihre Mitarbeiter*innen nicht nach deren Kompetenz und den benötigten Fähigkeiten aussucht, sondern nur über politisch und pekuniär mächtige Zuträger bestimmte Personen für die Fachaufgaben einsetzt. Auch soll es eine "Schwarze Liste" gebe, welche Fachleute ohne Angabe von Gründen ausgrenzt. Auch erhielten Absolvent*innen der Kunsthochschule, berufserfahrene Kunstexpert*innen, Kunstwissenschaftler*innen und Kunstvermittler*innen im Bewerbungsprozess keine faire Chance auf einen Arbeitseinsatz, auch wenn sie schon auf der d14 sehr erfolgreich gearbeitet hatten. Wir beobachten hier deshalb öffentlich, wie sich der Prozess des Kunstwerks d15 entfaltet, mit allen Höhen und Tiefen, die sichtbar werden. Aus unserer Sicht ist ein System, welches sich Kooperation, Gemeinschaftlichkeit und Fairness auf die Fahnen schreibt, dazu verpflichtet Kompetenz anzuerkennen und den Raum auch für politisch ausgeschlossene Bürger*innen zu öffnen bzw. solche Diskriminierung grundsätzlich zu unterlassen. Wir jedenfalls bleiben dran, denn die Zeitgenössische Kunst und ihre Ausdehnung in soziale, ökologische und kooperative Räume liegt uns am Herzen.

10.11.2024 Vor drei Tagen hat der Bundestag mit den Stimmen von CDU, SPD, Grünen, FDP und AfD eine Resolution gegen Antisemitismus beschlossen, die auch die documenta 15 noch einmal als Beispiel für Hetze gegen Juden erwähnt. (Antrag 20/13627) Die Resolution ruft alle Gremien und Institutionen dazu auf Antisemitismus in Deutschland aktiv zu bekämpfen, betont die politische Unterstützung des israelischen Staates "als zentrales Prinzip der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik", den Einsatz für eine "Zwei-Staaten-Lösung" und tritt dafür ein "die wiederkehrende Gewalt zu beenden und den Menschen auf der israelischen und palästinensischen Seite ein Leben in Sicherheit, Freiheit, Würde und mit gleichen Rechten zu ermöglichen." Die genannten Parteien verbinden den in Deutschland auftretenden Antisemtismus eng mit der Anerkennung des Staates Israel und der unter Netanjahu rechtsradikal gewordenen Regierung, der sie ihre Unterstützung zusagen. Auf EU-Ebene soll eine Listung terroristscher Vereinigungen - auch die Boykottbewegung BDS - erfolgen, um ihnen Fördermittel zu verweigern und ihre Mitglieder zu sanktionieren. Dies betrifft alle Organisationen, "die das Existenzrecht Israels ... negieren", und "Israel aktiv bekämpfen". Für die documenta in Kassel bedeutet dies faktisch, dass alle Künstler*innen, die dort ausstellen wollen, in Zukunft sorgfältig überprüft werden, ob sie in der Vergangenheit aktiv gegen den Völkermord an den Palästinensern eingetreten sind und die aggressive Politik des aktuellen rechtsradikalen Netanjahu-Regimes kritisiert haben. Damit vertieft die Regierung den Graben, der sich in Deutschland zwischen fanatischen Israelbefürwortern und Israelkritikern auftut, zumal sie betont, dass sich in Deutschland durch "die Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens" israelfeindliche Haltungen verstärkt haben. Wie sehr muss diese Äußerung die bei uns lebenden Palästinenser*innen verletzen, die miterleben mussten, wie große Teile ihrer Familien in Gaza und im Westjordanland getötet, ihrer Besitztümer beraubt und vertrieben wurden!
Das Bündnis Sahra Wagenknecht hatte deshalb einen Ergänzungsantrag für die Resolution gestellt und merkt darin an: "Wir bekräftigen das Selbstverteidigungsrecht Israels, sehen aber zugleich, dass das Vorgehen der in Teilen rechtsextremen Regierung von Benjamin Netanyahu im Gazastreifen wie auch im Westjordanland und im Libanon nichts mit einer legitimen Selbstverteidigung zu tun hat." (Antrag 
20/13654)  Dieser Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Das BSW kritisiert hier mit Recht, dass die Bundesregierung von einem umstrittenen, durch die israelische Regierung propagierten Antisemitismusbegriff ausgeht, der "dazu dient, Kritik an israelischer Kriegsführung und völkerrechtswidriger Besatzung zu delegitimieren." (Zitat von Stephan Detjen am 3.11.2024). Dieser von Wissenschaftlern wie Prof. Ralf Michaels (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht), Jerzy Montag (Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof), Prof. Armin Nassehi (Ludwig-Maximilian-Universität), Prof. Andreas Paulus (Richter a.D. am Bundesverfassungsgericht), Prof. Miriam Rürup (Direktorin des Moses Mendelsohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam) und von Prof. Paula-Irene Villa Braslavsky (Ludwig-Maximilian-Universität) kritisierte IHRA-Antisemitismus wird nun auch in Kassel maßgebenden Einfluss auf die Auswahl der künstlerischen Leitung der documenta 16 und der dort ausstellenden Künstler*innen haben. Kritik, auch die künstlerische Thematisierung des Völkermordes an den Palästinensern wird damit in Deutschand politisch unterdrückt oder deutlich eingeschränkt. Die von namhaften Wissenschaftler*innen 2021 erarbeitete so genannte Jerusalemer Erklärung, die "eine sehr viel präzisere Definition des Antisemitismus vorschlägt", wurde nicht berücksichtigt. (https://www.deutschlandfunk.de/jerusalemer-erklaerung-eine-neue-definition-fuer-100.html) Damit tritt die Debatte um die Kunstfreiheit in Deutschland in eine neue, äußerst prekäre Phase, die unter anderem die Islam- und die Judenfeindlichkeit anheizen wird anstatt sie zu minimieren.

17.03.2024
Am Montag soll im Südbahnhof ein HNA-Lesertreff zur Zukunft der documenta stattfinden. Vorbereitend wird in der Wochenendausgabe der Kasseler Tageszeitung auf verschiedene Positionen zur documenta hingewiesen. Harald Kimpel wünscht sich eine letzte Ausgabe der Weltkunstshow "als würdiges Finale", weil sie schleichend korrodiert sei und "in einem Dickicht der Gesinnungsprüfungen, Compliance-Regeln und vorauseilenden Absichtsstrategien" unhaltbar verstrickt ist. Die documenta kann nur noch "staatlich abgesegnete, politisch korrekte Kunst" zeigen und der Kunstfreiheit keine Chance mehr geben. Als "Entkunstung" bezeichnet er die Entwicklung der Kunstshow zu einer "gesellschaftlichen Weltverbesserungsplattform". (HNA 16.03.2024, S. 2.) Der Leiter der d12, Roger M. Buergel, warnt davor die Kunstausstellung als politische Veranstaltung zu definieren, auch wenn sie durchaus politische Wirkungen haben kann. Wenn Kunst jedoch nur immer politischer, radikaler und innovativer sein wolle, wird sie einer "Überbietungslogik" verfallen, mit der sie sich selbst abschafft. Am Mittwoch haben die Kulturminister der Länder und die kommunalen Spitzenverbände in Berlin "Strategien gegen antisemitische, rassistische und menschenverachtende Inhalte im öffentlich geförderten Kulturbetrieb" beschlossen. Die politische Position will zwar die Kunstfreiheit erhalten, aber ihre Grenzen genauer abstecken. In Kassel hat sich eine kleine Initiative lokaler Kunstförderer unter #standwithdocumenta gebildet, die befürchten, dass die Unabhängigkeit der Kunstshow auf dem Spiel steht, wenn ihre Kunstfreiheit der Politik unterstellt wird und ein Code of Conduct zur Pflicht für die künstlerische Leitung der documenta festgelegt würde.
Wir meinen: Gerade weil im Hintergrund lokal wie überregional die politischen Fäden für die documenta verdeckt gezogen werden und sich die lokal Mächtigen daran gewöhnt haben ihre eigenen Freiheiten zu backen ohne sich grundsätzlich moralisch für das demokratische Wohl der Kultur für alle Bürger*innen einzusetzen, wankt das gesellschaftliche Selbstverständnis der documenta als Weltkunstereignis. Solange die Lokalpolitik ihre Tricksereien und Ausgrenzungen der Kunsthochschulfachleute, die unwahrhaftige Ausgrenzung von Künstler*innen und Kunstwissenschaftler*innen betreibt, wird die Organisation der Weltkunstshow immer ein politisches Desaster bleiben, in dem sich eine zukünftige künstlerische Leitung abgestoßen fühlen muss. Die Kunst ist für die Menschen da, nicht für die Politik, für Wirtschaftsprofite oder um ihrer selbst willen. Sie könnte Anlass sein, gesellschaftliche Fairness und Weltgemeinschaft zu feiern, Menschen zusammenbringen und Kassel weiterhin für je 100 Tage zu einer Weltkunstplattform machen, wenn sie sich denn auf ihre Grundlagen besinnt: Die gesetzlich garantierte Freiheit der Kunst, Fairness in der Beteiligung des lokal vorhandenen Fachpersonals sowie echte Schwesterlichkeit und Brüderlichkeit im Umgang mit allen Beteiligten. Weltkunstentwicklung darf nicht mit politischen Weltverbesserungsansprüchen verwechselt werden, welche übrigens auch die künstlerische Leitung der d15 nicht hatten. Ist der notwendige politische Machtverzicht lokal wie überregional zu viel verlangt, weil die Entscheider*innen sich selbst den grundgesetzlichen Prinzipien nicht mehr verpflichtet fühlen und die documenta nur noch als Kultur-Macht-Instrument sehen und missbrauchen wollen?

16.03.2024
Nachsatz zum 13.03.: Für uns gilt immer noch, was die Universität Kassel schon im November 2023 am Holländischen Platz auf ihrem Plakat zusammenfasste: ... "Klar muss sein: Wir schauen nicht weg, wenn Menschen leiden. Das Existenzrecht des Staates Israel wird nicht infrage gestellt. Das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat wird nicht infrage gestellt. Die Gesamtverantwortung für den hundertjährigen Konflikt liegt nicht nur bei einer Partei. Jegliche Form des Terrors ist abzulehnen. Jegliche NS-Vergleiche verbieten sich. Genauso wie jede Form von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit."
Wenn die
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit oder die Jüdische Gemeindein Kassel das Leid der Israelis über das Leid der Palästinenser stellen, sind die für alle Menschen ausnahmslos geltenden Menschenrechte verletzt. Traumatisiert sind ausnahmslos alle am Krieg Beteiligten, entweder als Täter oder als Opfer oder beides. Ihre Traumata haben auch auf die nächsten Generationen zum Teil schwerwiegende Folgen. Für die Kunst und die documenta heißt das: Kritische Kunstwerke, welche die Schrecken des Nahostkrieges thematisieren, sind dann für eine Weltkunstshow von Interesse, wenn sie den Kern des menschheitlichen Dramas treffen, welches uns alle angeht.
Anmerkung am 17.03.: Immer wieder fragen Leser*innen nach der Traumatisierung von Tätern, weil sie denken, dass nur Opfer von Kriegen psychische Traumata erleiden und oft lebenslang mit sich herumschleppen. Der Film "Das Hamlet-Syndrom" von Elvira Niewiera und Piotr Rosolowski von 2022 zeigt die psychischen Verarbeitungsversuche von 6 ukrainischen Soldat*innen, die im Krieg von 2014 gegen Russland kämpften. Sie berichten von der Hilflosigkeit angesichts der schwer Verwundeten, der vielen Toten, der Demütigungen in der Gefangenschaft und dem Tötenmüssen. Sie waren Täter und Opfer zugleich, innerlich gezeichnet durch die als weitgehend sinnlos empfundenen Kriegserlebnisse. Und sie sind auch heute wieder für ihr Land im Einsatz, manche weil sie patriotisch motiviert sind, andere, weil sie sich für ihr Land verantwortlich fühlen. Soldat*innen zahlen einen hohen Preis für ihren Einsatz im Krieg, selbst wenn sie mit dem Leben davon kommen.


13.03.2024 In der Kasseler Lokalpresse befragt Herr von Busse Eva Schulz-Jander, die Geschäftsführerin der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit,
und das Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde Miki Lazar zur Diskussion über die Zukunft der documenta. Sie treten für einen Code of Conduct (Verhaltenskodex) für die documenta-Leitung und die eingeladenen Künstler*innen nach dem Entwurf der Beraterfirma Metrum ein. Dieser Code dürfe auch propalästinensische Positionen enthalten. Soweit - so gut. Es scheint so, dass unsere Gesellschaft lokal wie überregional eine solche Betonung der moralisch-mitmenschlichen Grundlagen des Umgangs miteinander nötig hat, weil diese im Selbstverständnis der Kulturorganisator*innen und Kulturschaffenden nicht mehr vorausgesetzt werden können. Das kann man auch an der seit vielen Jahren praktizierten finanziellen Ausbeutung der Kunstvermittler*innen der documenta beobachten, denen noch nie der Mindestlohn für ihre Arbeit zugestanden wurde, wobei Werkverträge so manipuliert wurden, dass Stundenlöhne von 5-6 Euro und darunter herauskommen. An der Antisemitismusfrage, welche die Diskussionen um die d15 bestimmte, polarisieren sich die Künstlerschaft wie die Kulturorganisation, dies besonders seit dem grausamen Überfall der Hamas auf Israel und dem grausamen Vernichtungskrieg Israels in Gaza, bei dem bisher über 30 000 Menschen sterben mussten. Warum dieser Krieg in Nahost unsere Gesellschaft so deutlich zu polarisieren vermag, versuchen die beiden Diskussionspartner zu beantworten. Dass auf der großen Kasseler Weltkunstausstellung die Kunstfreiheit  ihre Grenze finden muss, wenn Kunst zu Gewalt aufruft oder Menschen bzw. Menschengruppen mit Aktionen, Bildern oder Worten schwer verletzt, ist eigentlich selbstverständlich und ausreichend gesetzlich geregelt. Und dass zeitgenössische Kunst wie die gesamte Medienlandschaft mit diesen Grenzen spielt, ist ebenfalls eine täglich erlebbare Tatsache. Dennoch schien und scheint eine offene Diskussion über konkreten Antisemitismus in Deutschland brisanter zu sein als zum Beispiel die immer noch praktizierte Diskriminierung von Frauen, auch in der Kunst. Da tut die offensichtlich moderate Grundhaltung von Eva Schulz-Jander und Miki Lazar gut, die eine Kritik an der Radikalität der israelischen Siedler wie an der Hamas für zulässig halten. "Darum geht es" , so Schulz-Jander, "Zusammen zu stehen gegen die radikalen Kräfte auf beiden Seiten." Und Lazar: "Die meisten Israelis, die ich kenne, sind links und gegen die israelische Regierung." Gleichzeitig bezeichnen beide den in Deutschland bestehenden Antisemitismus mit Recht als ungelöst. Schulz-Jander behauptet aber tatsächlich, dass wir das Leid der Israelis nicht mehr sehen können, wenn wir das der Palästinenser*innen in Gaza thematisieren. Welch ein Irrtum! Gerade diese entfesselte brutale Gewalt, die beide Seiten betrifft, ist es, die uns so ratlos macht. Denn auch all die israelischen Soldaten, die mit brutaler Gewalt bombardieren und töten, werden schwer traumatisiert und menschlich beschädigt in ihre Familien zurückkehren. Täter wie Opfer erleiden durch diesen Krieg dauerhaft schweren Schaden. Ebenso ist es in milderer Form mit jeder extremistischen Position in Deutschland, auch wenn sie für das vermeintlich Gute kämpft. Die Realität des Krieges ist uns allen näher gerückt, die Gefahr der Verrohung und der Gewalt, die uns schweren Schaden zufügen kann in unserem Menschsein. Tut es den Kulturschaffenden besonders weh an diese existenzielle Grenze, die auch eine Grenze der Kunst und Kultur selbst ist, zu stoßen? Widerspricht diese Grenze dem kapitalistischen Wachstumszwang des "Unternehmens" documenta, welche unter allen Umständen profitabel sein muss, auch und immer ohne Rücksicht auf die beteiligten Menschen? Haben wir Angst davor, dass unsere allgemein enger werdenden wirtschaftichen Umstände unsere eigenen schlafenden Gewaltpotentialen Vorschub leisten wird und sich in Rassismus oder Antisemitismus entladen MUSS? Der Postkolonialismus führt unweigerlich zur Entmachtung der westlichen Welt. Verkraften wir das Engerschnallen des Gürtels vor allem in der Kunst nicht, weil sich die Kulturmächtigen erdreisten die Schere zwischen arm und reich auch auf der documenta immer größer werden zu lassen, selbst sich aber weiterhin in Ruhm- und Reichtumssphären wälzen? Dass Hans Eichel das Judenthema auf der documenta nicht gerne sieht, verwundert nicht, denn er und seine breit aufgestellte Milliardärsfamilie bestimmt vom Hintergrund aus die Kulturlandschaft in Kassel. Seine Jahrzehnte andauernde Diskriminierung von lokalen Künstlerinnen ist allgemein bekannt, aber darüber wird die von ihm bestimmte Presse nie sprechen. Die eigentliche Polarisierung findet im Spätkapitalismus nicht zwischen Ethnien und Glaubensausrichtungen statt, sondern vor dem der Öffentlichkeit verborgenen kapitalistischen Machthintergund, der skrupellos über die Kultur und ihre Ausstellungen herrscht, um die eigene anwachsende Armseligkeit und Herzlosigkeit zu verbergen. So bleibt es unvergessen, dass Frau Wolf-Eichel auf der d14 die extrem unterbezahlte Kunstvermittlung für ihre zahreichen Bau- und Immobilienunternehmen zwar gerne in Anspruch nahm, aber gleichzeitig abfällig bemerkte, dass sie ja genug in die documenta investiere (natürlich steuersparend) und auch gute Leistungen daher nicht mit einem kleinen anerkennenden Trinkgeld belohnt werden müssten. Nun, wer systematisch ausbeutet, hat Macht und kann natürlich die Kultur bestimmen, die Frage ist nur wie!

10.12.2023 Was aber könnte und müsste zu einer Zukunftsvision für die documenta 16 werden? Zuallererst müssten sich die Entscheidungsträger in ihrem strukturellen Vorgehen von ihrer Ideologie als Herrschaftselite mit angeblichen "Verantwortungsketten" distanzieren und zur tätigen Umsetzung demokratischer Gleichberechtigung zurückfinden, sich damit selbst Machtgrenzen setzen, wie dies Olov Palme schon in den 1970er Jahren dringend empfohlen hat. Die Auswahl der Künstler*innen dürfte sich in keiner Weise an Festlegungen durch Wirtschaftsmächte halten, und darüber hinaus z.B. palästinensische wie israelische, ukrainische wie russische Sichtweisen gleichermaßen zulassen. Die der Demokratie zugehörende Gewaltenteilung muss Geld, Kulturproduktion, Politik und Rechtsstaatlichkeit als Wirkmächte scharf trennen. Globale Positionen sind auch in der Kunst mit Positionen der Doppelmoral, des Machtmissbrauchs und der Durchsetzung rein westlicher Normen nicht vereinbar. Grundlage aller kulturellen Völkerverständigung sind die Menschenrechte und die Mitmenschlichkeit. Da auf der ganzen Welt wie in Deutschland populistische und totalitäre Entwicklungen zunehmen, weil diese von der internationalen Geldelite im Wirtschaftsleben systematisch zum Nachteil der Bevölkerungen durchgesetzt wurden, müssten Deutschland und Kassel hier gerade die Positionen zulassen, die diese Entwicklungen thematisieren und in Frage stellen. Denn alles andere schafft weitere gesellschaftliche Spaltungen, Hass und Gewalt. (Kassel profitiert von den Steuern der Rüstungsindustrie, die deren auch lokale Besitzer übermächtig macht und Israel beliefert. Und die deutsche Regierung braucht in ihrer Wirtschaftsmisere die milliardenschweren Verkäufe der Rüstungsindustrie an Israel.)
Wonach sich die Kulturen sehnen, ist eine Rückbesinnung auf eine Kunst für den Menschen (l'art pour l'homme), nicht für den Kunstmarkt oder für die Politik. Diesem Ansatz hatte sich Christov-Barkagiev auf der d13 im Jahr 2012 mit Humor angenähert. Was ist danach in Deutschland und Kassel kunstpolitisch schief gegangen? Warum sind wir der totalitären Entwicklung, die uns wirtschaftlich so unausweichlich erfasst zu haben scheint, kulturell so ausgeliefert. Weil sie von oben, durch die Entwicklung einer Milliardärselite entstand, medial von dieser aber in Deutschland allein auf die AFD projiziert wird, um dieselbe Entwicklung innerhalb der Regierung zu verdecken? Stehen wir weltweit vor der Durchsetzung eines anti-europäischen Kunstmanifests, wie es der polnische Pavillon der Biennale in Venedig 2024 mit dem rechten Künstler Ignacy Czwartos geplant hat? In 2024 soll außerdem der Präsident der Venedig-Biennale Roberto Cicutto von dem italienischen Rechtspopulisten Pietrangelo Buttafuoco abgelöst werden. Auch hier greift die Politik radikal bestimmend in den Kunstbetrieb und die Auswahl der Kurator*innen und Künstler*innen ein. Davon wollen auch in Deutschland
die Eliten nicht ablassen.
Solange in Kassel und Deutschland Polit- und Geldeliten bestimmen, was und wer auf der documenta (und in der Kunst überhaupt) ausgestellt werden darf, solange diese sich nicht bewusst im Machtverzicht üben und zur Demokratie und Gewaltenteilung zurückkehren, wird die "Staatsräson" die Freiheit der Kunst nicht mehr zulassen. Wie die jüdischstämmige Künstlerin Candice Beitz, die wegen ihrer Haltung von Ausstellungsbeteiligen in Deutschland wieder ausgeladen wurde, meinen wir, dass Findungskommissionsmitglieder der documenta frei darin sein müssen, sich der BDS-Bewegung (Boykott des reaktionären israelischen Staates, nicht der Juden! Eben keine Ablehnung der Staatlichkeit Israels! Kein Antisemitismus!) anzuschließen oder nicht. Das böte den Raum für Meinungs- und Findungsfreiheit in der Kunst. Nur, diese globale Position tut der deutschen Herrschaftselite halt einfach zu weh! Sie verlangt die bedingungslose (!) Unterwerfung unter das Staatsdiktat, eine weiße Zwangsideologie, welche genau zu wissen meint, wer die richtigen und wer die falschen Jüd*innen sind.
Sie benutzen falsche Antisemitismusvorwürfe, um ihre eigenen faschistischen Einstellungen zu verschleiern. Gewaltfreie Boykottbewegungen sind ein wirtschaftliches Mittel gegen faschistoide Entwicklungen vorzugehen. Sie waren nicht selten erfolgreich!

08.12.2023 Schon am 17.11. hatte Stefan Koldehoff im Deutschlandfunk über die Notwendigkeit einer Denkpause für die documenta gesprochen, nachdem die Findungskommission für die d16 zurückgetreten war. Für Koldehoff geht es nicht nur um eine Neustrukturierung der documenta, die von den Geldgebern - der Stadt Kassel, dem Land Hessen und Kulturstaatsministerin in Berlin - bestimmt wird, welche mit einem globaler Deutungsanspruch über Kunst entscheiden wollen. 
"Es geht", so Koldehoff, "darum, ob die Kultur noch Antworten auf die so drängenden Themen der Zeit hat, auf die Niederlage von Vernunft und Aufklärung an so vielen Stellen auf der Welt, und auf den scheinbaren Sieg von Macht und Gewalt, auf die Frage, wo Verteidigung und Schutz aufhören und eigenes Unrecht beginnt, auf den grassierenden Antisemitismus, der doch angeblich nie wieder sein durfte, auf das Gemeinsame in einer Welt, in der so viele Populisten mit Spaltung Erfolg haben und um die Frage, ob es in einer immer komplizierteren globalen Gesellschaft tatsächlich die Künstlerinnen und Künstler sind, die darauf Antworten geben können." Wer soll diese Antworten kuratieren, ja zensieren? Ist die Kunst noch frei?? Zerbricht spätestens
an dieser Stelle der Glaube an die Macht der Kunst über das Schwert, die der kolonialistisch geprägte Kulturbegriff so vehement vertritt? Deutsche Kulturkriterien und -werte gelten in anderen Teilen der Welt schon lange nicht mehr so selbstverständlich, wie das die Kulturstaatsministerin Roth, die hessische Staatsministerin Dorn und die Stadt Kassel vertreten. Welche globalen Werte müssen für eine Weltkunstausstellung gelten? Ein neues Selbstverständnis der Kulturwelt kann durch strukturelle Veränderungen von Behörden und Institutionen nicht geschaffen werden. Wer traut der documenta noch zu, diese brisante Debatte selbst führen zu können? Kann sie das Leid und die Qualen zulassen, die eine ehrliche Selbstreflexion im globalen Kontext mit sich bringt? Die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland ist geprägt von ungezügelten Milliardärsmächten, nach deren Gusto die Politpuppen tanzen. Diese bestimmen als dubiose Hintergrundsmacht, wer Kurator*in und wer Künstler*in wird. Die antidemokratische Spaltung der Gesellschaft findet im Untergrund statt und bleibt in ihrem Ausmaß vor der Mehrheit der Bevölkerung verborgen. Auf diesem Boden wächst der Antisemitimus unaufhaltsam weiter. Die documenta ist mit der d15 und ihrem globalen Weltkunstanspruch offensichtlich an ein historisches Ende gekommen, wie Daniel Hornuff am 21.11. im Deutschlandfunk kommentiert. Ist das eurozentrische Konzept von einer Weltkunstshow überholt? Angesichts des staatlich wie wirtschaftspolitisch unbewältigen Umgangs mit dem Antisemitismus auf der d15 und der fehlenden Bereitschaft zu einer offenen und vielstimmigen Reflexion braucht die documenta eine Denk- und Atempause, in der sie eine Enthierarchisierung im Bereich der Kunst zulässt und zu demokratischen Prinzipien der Vielstimmigkeit, Offenheit und Mitmenschlichkeit zurückkehrt. Dies aber, so müssen wir vermuten, wird in einem deutschen Staat, welcher die Ermordung von tausenden Palästinensern rechtfertigt, weil die "deutsche Staatsräson" die einseitige Unterstützung des israelischen Staates befiehlt, nicht möglich sein. Wer korrupte Staats- und Wirtschaftsstrukturen einseitig auf Kosten der Bevölkerungen unterstützt, kann keine aufgeklärten, demokratischen Entwicklungen fördern, auch nicht in der Kunst.

18.11.2023
Zum zweiten Teil des Symposiums in der Unteren Karlstr. 14 in KS fehlte die große Prominenz, nur noch ausgewählte Teilnehmer*innen und einige Mitglieder der Eichelgruppe nahmen die reservierten Plätze ein, sodass im Saal viel Platz für nicht eingeladene Gäste war, die sich auch an den halbstündigen Diskussionen nach weiteren drei Modulen beteiligen konnten. Wie am Abend vorher standen ein professioneller Sicherheitsdienst und eine Vielzahl von Polizisten - einige in Zivil , andere in voller Montur - für den Schutz der Veranstaltung zur Verfügung.
Die interessante Frage zum Einfluss der Medien auf die Rezeption der d15, ihre Konflikte und Spaltungen diskutierte Klaus Holz mit dem Moderator Heinz Bude. Der Historiker Holz stellte auf der Grundlage der geschichtlichen Entwicklung der Linken in Europa ihren Einsatz gegen die imperialistischen Landnahme, gegen den Kapitalismus und ihre Ideologisierung nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland dar, die sie beeinflussende antisemitische Haltung Stalins in der Sowjetunion, die Tatsache der Zerstörung von neuen demokratischen Systemen in der postkolonialen Entwicklung in vielen Teilen der Welt (auch in Indonesien) zu Gunsten von Diktaturen. Die sich daraus entwickelnde Israelfeindlichkeit linker Haltungen trifft auf eine traditionelle Judenfeindlichkeit, welche von den christlichen Religionen in der westlichen Welt seit dem Mittelalter, auch bei Luther historisch belegt ist. Der christliche Antijudaismus trifft ab 1780 auf einen nationalen deutschen Antisemitismus, der im Zuge einer von religiöser Zugehörigkeit unabhängigen politischen und gesellschaftlichen Gleichstellung aller Bürger den Juden zwar Zugehörigkeitsrechte zugesteht, ihnen aber eine nationonale deutsche Zugehörigkeit verweigern will. Im Nationalismus soll diese antisemitische Ideologie verwissenschaftlicht werden. Diese Entwicklung ruft eine jüdische Gegenbewegung, den nationalen Zionismus hervor, der sich gegen die seit Jahrhunderten bestehenden Verschwörungstheorien mit ihren Geld- und Machtstereotypen wehrt, um eine eigene jüdisch-israelische Identität aufzubauen. Die im Wimmelbild von Taring Padi gezeigte antisemitische Typisierung des kapitalistischen Juden als Teil einer destruktiven Weltherrschaftsbildes des Bösen unterstützt die alten, weltweit bestehenden antisemitischen Stereotypisierungen, auch wenn wir sicher davon ausgehen können, dass diese im indonesischen Befreiungskampf auf die grausame Diktatur unter Suharto ausgerichtet war, der sich mit weltwirtschaftlich für seine Herrschaft relevanten kapitalistischen Systemen verbunden hatte. Tatsache ist, dass es in Deutschland einen historisch und national konnotierten Antisemitismus gibt, den Werner Bergmann schon vor über 30 Jahren mit einem - auch unbewusst bestehenden - Kommunikationsverbot belegt sah. Warum aber wird öffentlich kaum zwischen Antisemitismus und einer durchaus zulässigen Israelkritik kaum unterschieden? Diese Diskussion hatte auch in der Diskussion um den Antisemitismus auf der d15 keinen Platz! Die historisch bedingten Ambivalenzen scheinen auch aktuell unauflöslich zu sein und deshalb so brisant zu bleiben. Einen islamischen Antisemitismus gab es erst ab dem 19. Jahhundert. Er greift, besonders im radikalen Islamismus immer auf christlich-europäische Quellen zurück.
Für das Modul über Israel und globale Unruhe waren Natan Sznaider und Thomas Macho Online zugeschaltet. Gefragt wurde mit Benedikt Anderson danach, ob Befreiunungsbewegungen und die Bildungen von Nationen immer mit einem Nationalismus verbunden sind. Einig waren sich die Diskutierenden darin, dass sich Nationen immer als nationalistische Bewegungen formen und dass die Bildung von Nationen konstitutionell immer mit Gewaltprozessen verbunden ist. Diese Konstitution geht mit dem Aufruf religiös konnotierter Sehnsuchtsorte einher, die sich im Fall von Israel mit einer beständigen Abwehr von existentieller Bedrohung verbinden und die zionistischen Siedler im West-Jordanland motivieren. Natan Sznaider spricht hier von einer politischen Verantwortung israelischer Bürger*innen für das Überleben des existentiell bedrohten Staates Israel. Dies unterscheide die israelischen Juden fundamental von den Juden der Diaspora außerhalb Israels. Seit dem 7.10. lebe er in einer beständig bedrohten Jetztzeit, die von der Hamas bedroht werde, sagt Szaider. Er könne sich daher dem Leid der Palästinenser nicht zuwenden, es nicht als gleichberechtigt anschauen. Wie in seinem Vortrag während der d15 in Kassel, wo er für die öffentliche Belassung und Diskussion des antisemitischen Bildes von Taring Padi eingetreten war, plädiert er immer noch für die öffentliche Diskussion von Antisemitismus, den man eben nicht "abhängen" könne. Wie aber können wir dann über die Palästinenser reden, fragt Heinz Bude. Auf diese Frage, so waren sich Sznaider und Macho einig, könne man erst nach der Beendigung und Bedrohung des Krieges in Israel reden.
Im Modul über Kunst und Kontaminierungen sprach Heinz Bude mit Yael Kupferberg aus Berlin und Maria Neumann vom Documenta-Archiv Kassel. Beide plädieren dafür, dass über den strukturellen Antisemitismus auf der d15 gesprochen werden muss, dass man aber nicht normativ, sondern epistemisch reflektieren müsse. Der antisemitische Skandal darf nicht zusätzlich skandalisiert werden, sondern muss wissenschaftlich am Objekt sorgfältig angeschaut werden, was während der d15 nicht erlaubt wurde. Denn dabei treten Tabus und lokale Verlustängste in Bezug auf die documenta zu Tage. Das Werk von Taring Padi mit dem Titel Peoples Justice kann als Himmel- und Hölle-Darstellung mit einem Heilsversprechen und einer verschwörungstheoretischen Vernichtungsaufforderung gegen das Böse gelesen werden. Welche Kränkungen dadurch ausgelöst werden ist nur mit einer reflektierten, affektreduzierten Haltung zu untersuchen, die auch die Abwehr- und Verteidigungsstrategien einbeziehen. Setzen zeitgenössische Kunstwerke bei Betrachter*innen nicht doch eine gewisse Bereitschaft sich kränken zu lassen voraus, fragt Heinz Bude. Soviel ist klar: Durch eine politisch instruierte Atmosphäre der Zensur ist ein auf wissenschaftlichem Interesse beruhende Aufarbeitung des Antisemitismus auf der d15 nicht zu erreichen. Der verdrängte, oft strukturell bestehende Antisemitismus in Deutschland kann durch Beziehungsverweigerung und Verweigerung von Kontaminierungsfähigkeiten nicht aufgearbeitet werden.
Beeindruckend war die herausragende Moderation von Heinz Bude, der mit seiner sachlichen Begleitung, seinen fundierten Fragen und seiner grundlegenden menschlichen Zugewendetheit zum Erfolg der Veranstaltung beitrug.
17.11.2023 In Kassel findet vom 17.-18.11.2023 das Symposium Die documenta fifteen als Zäsur? Kunst, Politik, Öffentlichkeit statt. Zum Auftakt fasst die aus erbreichem Hause stammende hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn die deutsche Staatsräson in emotional aufgeladenen Worten zusammen, indem sie die Terrortaten der Hamas und das Recht Israels auf "Verteidigung" betont und wie im Nachsatz am Schluss das Leid der Palästinenser erwähnt, für das allein die Hamas verantwortlich sei. Weitere Redner sind der Geschäftsführer der documenta gGmbH Thomas Hoffmann zu den antisemitischen Verfehlungen der d15 und die Zukunft der documenta innerhalb einer aktuellen Weltgesellschaft, ein Gedenken mit Schweigeminute für die Geiseln der Hamas von der in Israel geborenen Kulturwissenschaftlerin Golan und der Rede des Oberbürgermeisters Sven Schoeller für die  Neupositionierung der documenta zwischen Kunstfreiheit und ihre Grenzen.
Als geladene Gäste traf sich im Saal des UK14 die lokale Milliardärsgesellschaft, unter anderem zahlreiche Mitglieder der Eichelgruppe, die in Kassel und Umgebung seit über 30 Jahren bestimmt, wer wirtschaftlich und gesellschaftlich vernichtet werden und wer dazugehören darf. Allerdings gab es im Vorraum des Vortragssaals auch Platz für nicht geladene Gäste, die die Vorträge und Diskussionen auf den Bildschirmen mitverfolgen konnten.
Interessant war die von Heinz Bude moderierte Diskussion mit Meron Mendel und Nicole Deitelhoff, die Bude mit der Frage eröffnete, wie wir angesichts verhärteter Fronten in der Antisemistismusdebatte überhaupt über das Thema sprechen können. Einig war man sich, dass nicht eisige Härte, sondern Menschlichkeit die Basis einer gemeinsamen Sprache bilden müsse. Und so näherten sich die Diskussionsteilnehmer*innen vorsichtig der Formulierung der unterschiedlichen Positionen, dies vor einem Milliardärspublikum, welches seit Jahrzehnten die lokale und weltweit wirksame Kulturpolitik in ihrer eisernen kapitalistischen Zange hält und damit jede demokratische Teilhabe der Bevölkerung unterminiert. Da innerhalb der kapitalistischen Entwicklung gerade diese Menschlichkeit zugunsten der ungebrochenen Anhäufung von Geld und Macht zu einem Eisberg gefroren ist, der seine unterirdische Zerstörungskraft in der Gesellschaft immer deutlicher entfaltet, könnte das Thema Kunstfreiheit und ihre Grenzen für die kommende d16 nur grundlegend bearbeitet werden, wenn die lokale, deutsche und europäische Finanzschikeria bewusst auf weitere Selbstbereicherung und Machtgier zugunsten einer Redemokratisierung den Rahmen der documenta auf der Grundlage von Mitmenschlichkeit bilden würde. Hier könnte und müsste Kassel mit der documenta Vorreiter sein. Der schon von Olov Palme verlangte Machtverzicht der Reichsten zugunsten demokratischer Strukturen ist jedoch bisher in Kassel unerfüllt geblieben. Die Findungskommission für die d16 muss sich nun neu formieren.

14.11.2023 Am 13.11. berichtet die Tagesschau, dass mittlerweile zwei der sechs Mitglieder der Findungskommission für die 2027 geplante documenta 16 zurückgetreten sind. Die israelische Künstlerin Bracha Lichtenberg Ettinger erklärte am Freitag ihren Rücktritt, weil sie mit ihrem Anliegen die Entscheidung für die Kuration der d16 wegen des Nahostkrieges zurückzustellen bei ihren Kolleg*innen keinen Erfolg hatte. Sie habe zum Zeitpunkt ihres Rücktritts nicht gewusst, dass ihr Kollege Ranjit Hoskoté 2019 die BDS-Bewegung mit seiner Unterschrift unterstützt habe. Bei der BDS-Bewegung handelt es sich um eine internationale Initiative, welche die brutale Siedlerpolitik Israels im Westjordanland kritisiert und zum wirtschaftlichen und politischen Boykott Israels aufruft. Der deutsche Bundestag hatte diese Bewegung 2019 als antisemitisch eingestuft, weil einige BDS-Unterstützer*innen zusätzlich das Existenzrecht des israelischen Staates infrage gestellt haben.
Die documenta gGmbH hatte von Hoskoté eine offizielle Distanzierung von der BDS verlangt. Dieser war der Aufforderung nicht nachgekommen, da er eine Pauschaldefinition von Antisemitismus ablehne, bei der das jüdische Volk mit dem Staat Israel gleichgesetzt und "jede Sympathiebekundung für das palästinensische Volk als Unterstützung für die Hamas" gewertet werde. Er erklärte am Montag mit großem Bedauern seinen Rückzug aus dem Findungsgremium, weil in einer so "vergifteten Atmosphäre" keine differenzierten Diskussionen zu documenta-Fragen möglich seien.
Wie weit will die deutsche Staatsdoktrin eigentlich noch gehen, wenn sie die von Hoskoté treffend zusammengefasste Problematik einseitig zugunsten der Unterstützung von jahrzehntelangem Landraub, Hass und Gewalt gegen Palästinenser*innen im Westjordanland und in Gaza entscheidet? Die Hamas hat sich längst in die angrenzenden Staaten zurückgezogen, um von hier aus weiter für die Existenzberechtigung der Palästinenser und die Verhinderung ihres Genozids zu arbeiten. Sie ist ebenso gewaltbereit wie Israels Militär, nicht mehr und nicht weniger! Muss man der Bundesregierung nicht vorwerfen, dass sie auf diese Weise den weltweiten Konflikt zwischen der westlichen und östlichen Welt befeuert und zum Tod von Abertausenden von Palästinensern beiträgt? Israel kennt nur ein Ziel: Die Übernahme der totalen Macht mit Hilfe eines grausamen Vernichtungskrieges. Dies akzeptieren auch viele Juden und Jüdinnen auf der ganzen Welt NICHT! Ein internationales Gremium für eine Weltkunstausstellung muss unterschiedliche politische Haltungen thematisieren dürfen und die Menschenrechte für alle Kulturen zur Grundlage ihrer Arbeit machen!

23.05.2023
Der 2020 zum Gründungsdirektor des zukünftigen documenta-Instituts in Kassel ernannte Soziologe Heinz Bude äußert sich in einem Interview gegenüber der HNA (22.05.2023) unter anderem zur Situation der documenta in Kassel. Übereinstimmend mit der lokalen Politik würde er an der Struktur der documenta prinzipiell nichts ändern, da sowohl die jeweils von der documenta gGmbH einberufene Findungskommission als auch die von dieser berufene, jeweils neue kuratorische Leitung autonom handlungsfähig sein müssen. Statt dessen mahnt er die Schaffung einer "innere Vertrauensstruktur" an, um das missbrauchte Vertrauen der Beteiligten durch "Freundlichkeit, Beharrlichkeit und Gesammeltheit" wieder aufzubauen. Eine "Letztverantwortung der öffentlichen Hand" durch eine Geschäftsführer*in lehnt er ab, weil Vertrauen nicht durch Kontrolle geschaffen werden könne. Entscheidungen müssten von Reflexivität und Fachkompetenz bestimmt werden. Das documenta-Institut könnte ein solcher "reflexiver Sparringpartner" sein, um den Interaktionsraum mit den Medien und der Politik zu gestalten. Hier greift er den Vorschlag des Expertengremiums auf, dass nicht Kommunalpolitiker*innen und Vertreter*innen des Kunstministeriums allein im Aufsichtsrat über die Belange der documenta entscheiden sollten.
Die documenta ist neben dem Weltkulturerbe des Bergparks und des Schloßes, attraktiven Museen wie der Grimmwelt repräsentativ für die aufstrebende Kulturentwicklung der Stadt. Wie sich das zukünftige documenta-Institut in ein städtisches Konzept einordnen lasse, müsse konzeptionell gut überlegt werden, es müsse aber eine unabhängige Position erhalten, um eine gesunde "Vertrauens- und Kooperationsstruktur" entwickeln zu können.
Letzteres aber, so meinen wir, ist das Gegenteil von dem, was die Lokalpolitiker*innen und die Ministerien wollen, denn die Zeichen der Zeit bestehen auf flächendeckender Kontrolle, nicht auf vertrauenschaffenden Strukturmaßnahmen. Der verdeckte Krieg der politischen Parteien um die Macht, die weltweite Krisenwirtschaft und ihre Folgen für den Kasseler Kultursektor, in dem massive Abhängigkeiten von Kasseler Milliardärsfamilien zementiert wurden, schaffen ein Klima, in dem wesentliche Akteure nicht genannt werden. Solange die Wirtschaftsmächtigen in Kassel als graue Eminenzen mit ihre Kindern und Enkeln, die längst in entscheidenden Positionen auf Beförderungen warten, nicht genannt werden dürfen
, wird jede Vertrauen schaffende Maßnahme im Sand verlaufen. Vertrauen kann nur durch eine ehrliche, demokratische Gesinnung und die positionelle Förderung der fachlich Besten aufgebaut werden, nicht durch Machtschiebereien zwischen Ministerien, Lokalpolitiker*innen und Finanzschickeria.
Dass eine Stadt für ihre Kuturentwicklung die Finanzkraft der reichsten Bürger*innen braucht, ist ein historisch belegbares Faktum, welches an sich nicht schadhaft sein muss. Dass wir allerdings diese grauen Eminenzen und ihre Macht nicht mehr namentlich identifizieren können, weil ihre Kinder und Enkel neue Nachnamen tragen und als solche systematisch in Positionen gesetzt werden, auch wenn ihre Kompetenz zu wünschen übrig lässt, auch die kapitalistische Struktur eines namenlos bleibenden Netzes von GmbHs ihnen die verdeckt bleibende totalitäre Macht ermöglicht, ist neu und Zeichen einer Zeit, in der demokratische Strukturen zur Farce geworden sind.

26.03.2023
Wir haben uns nun monatelang dem großen Schweigen angeschlossen, welches sich an die unaufgearbeiteten politischen und sozialen Differenzen im Nachfeld der d15 anschloss. Unsere Versuche mit einigen Mitgliedern von Ruangrupa in ein vertiefendes Gespräch über die Antisemitismusvorwürfe zu kommen, die scharfen Reaktionen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, die relativierenden Haltungen der Politik und das Schweigen der Kasseler Organisator*innen zu verstehen, sind daran gescheitert, dass alle Beteiligten letztendlich an einem persönlichen Einsatz für Lösungen im Sinne eines gemeinsamen Guten für die documenta nicht interessiert zu sein scheinen. Misstrauisch und unkonstruktiv verharren diese Gruppen in einer Deckung, welche die fremde Position als feindseligen Angriff bewertet. Daran hat auch der Abschlussbericht des "unabhängigen" Expertengremiums vom Februar diesen Jahres nichts geändert, der die d15 als "Echokammer für Antisemitismus" bezeichnet. Auf 133 Seiten wird detailliert ausgeführt, dass die Findungskommission, der Aufsichtsrat der documenta gGmbH, die Geschäftsführung der documenta und die Kurator*innengruppe Ruangrupa den auf der d15 in Erscheinung getretenen Antisemitismus bagatellisiert, ignoriert und abgewehrt haben. Aber auch das fachwissenschaftlich ausgerichtete Expertengremium war sich in einigen Punkten uneins, denn Facil Tesfaye und Elsa Clavé schieden vorzeitig aus, "weil sie durch den Fokus des Gremiums auf Antisemitismus ihre Perspektive aus der Postkolonialismusforschung nicht genügend vertreten sahen." Der Bericht spricht von "Abwertungs- und Dämonisierungsmustern", von Stereotypisierungen und Entmenschlichungen einiger der gezeigten Werke, und von groben Fehlern in der Organisationsstruktur vor Ort, die sich bis zum Schluss in mangelnder Kooperationsbereitschaft zeigte. Über die vier schon früher mit dem Vorwurf des Antisemitismus belegten Kunstwerke, das Großplakat von Taring Padi, die Fimreihen Suversive Film - Tokyo Reels, Guernica Gaza und Archives des luttes des femes en Algérie hinaus konnten keine weiteren antisemitischen Exponate ausfindig gemacht werden. Den vier Kollektiven und ihren Werken wurde bescheinigt, dass sie "eindeutige antisemitische visuelle Codes aufweisen oder antisemitische Aussagen treffen". In allen Fällen thematisieren diese Werke Probleme im Nahen Osten, die sich bis heute fortsetzen, und transportieren eine antiisraelische oder israelfeindliche Position. In allen Fällen werden Israelis ausschließlich als Aggressoren, aber nie als Opfer von Verfolgung und Diskriminierung gezeigt, während Palästinenser als friedlich und unschuldig codifiziert sind.
Das Expertengremium richtet sich mit seinem Anitsemitismusbegriff an der Arbeitsdefinition der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA) aus, welche die gegen Juden gerichtete Feindbilder, wie sie auch im Islam weit verbreitet sind, als gegen den Staat Israel gerichtete Haltungen identifizieren, dem sie ein Existenzrecht absprechen. Die Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA) hält diese Definition des Antisemitismus für zu weitgreifend. Sie sind davon überzeugt, dass eine legitime Kritik an Israel, z.B. wegen der Besetzung palästinensischer Gebiete, berechtigt sei und nicht als antisemitisch eingestuft werden dürfe.
Nun, wir konstatieren Uneinigkeit auf allen Seiten der Betroffenen und Beteiligten. Die von Ruangrupa ausgerufene Botschaft "Make friends, not art!", die das Miteinander in den verschiedenen Kommunikationsräumen, den "Wohnzimmern" auch nach dem Ende der d15 bestimmen sollten, haben eine wichtige Voraussetzung für Freundschaft nicht berücksichtigt: Vertrauen schaffende Ehrlichkeit und die Bereitschaft Wesentliches voneinander zu lernen. Wie Facebook-"Freundschaften" sind ihre Kommunikationformen in der Unverbindlichkeit und Ignoranz eines "Alles ist erlaubt" hinter den Kulissen distanziert und oft feindselig geblieben. Die auftretenden Konflikte bleiben dadurch bestehen, dass sie nicht bis zur persönlichen Verantwortungssphäre der Beteiligten vordringen dürfen, sondern prinzipiell abgewehrt werden. Wer aber Kritik und Mitmenschlichkeit nicht ernsthaft in Arbeits- und Lebensbeziehungen umsetzt, wird keine nachhaltigen Freundschaftsverhältnisse schaffen können. Die d15 ist mit ihrem kulturellen Ansatz gescheitert, weil er sich als Lippenbekenntnis herausstellte.
Nachtrag am 24.05.2023: Dass in großen Teilen der deutschen Kulturszene Antisemitismus stillschweigend geduldet wird - wir also nicht nur auf der d15 ein strukturelles Antisemitismusproblem haben -  wurde auch auf der Tagung "Von der Kunstfreiheit gedeckt? Aktuelle Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Kunst und Kultur" (Kunstfreiheit) am 11.05.2023 in Berlin deutlich. So werden nicht nur jüdische Erfahrungen in der Kunstszene stillschweigend boykottiert, sie kommen auch in Konzepten und Diskursen zur Diversität kaum vor. Postkoloniale Positionen befördern dabei häufig ein Schwarz-Weiß-Denken, welche den imperialistischen Westen in Opposition zu einem grundsätzlich guten globalen Süden setzt, wobei Israel als zum Westen gehörig definiert wird. Diese Haltung befördert einen linksgerichteten Antisemitismus. Die Künstler*innen Stella Leder, Tina Turnheim, Benno Plassmann und Mia Alvizuri Sommerfeld bestätigten auf der Tagung den stillen Boykott israelischer und jüdischer Künstler*innen in der Berliner freien Kunstszene. Künstler*innen wurden offensichtlich ausgeschlossen, wenn sie der Aufforderung zum Unterschreiben einer BDS-Erklärung nicht nachkommen wollten. BDS (Boykott, Investitionsabzug und Sanktionen) ist eine Sanktionsinitiative gegen den Staat Israel und seine Palästina-Politik, welche dazu auffordert auch Wissenschaftler*innen und Künstler*innen aus Israel zu sanktionieren. Der Bundestag hatte diese Bewegung als antisemitisch eingestuft, die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit verbreitet sie jedoch weiterhin. Wer, wie
Alvizuri Sommerfeld, gegen die interne Weitergabe israelfeindlicher Positionen in Videos in einem großen Berliner Produktionshaus protestiert, wird scheinbar gezwungen sich zur israelischen Besatzungspolitik zu äußern. Der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster forderte die staatlichen Stellen dazu auf ihre Mittelvergabe und Personalpolitik eindeutig gegen BDS-Unterstützer*innen abzugrenzen, um Antisemitismus auf Großveranstaltungen wie der documenta in Zukunft zu verhindern. Zugleich gibt es Hinweise darauf, dass arabische Künstler*innen in ihren Ländern Todesdrohungen erhalten, wenn sie Zusagen zu Veranstaltungen in Deutschland geben, die von Unterstützern der BDS-Bewegung initiiert werden. Reden wir hier wirklich noch über Kunstfreiheit?

21.09.2022 Ende dieser Woche schließt die d15 ihre Türen. Für eine tiefer gehende Reflexion ist es sicher noch zu früh. Der Konflikt im Zusammenhang mit den Antisemitismusvorwürfen jedoch hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Im Standort Hafenstr. hängen zwischen den Kunstwerken überall Protestplakate mit  Slogans: "Who is anti-semitic?" "Lumbung is not your political playground", "Lumbung will continue! (somewhere else)", " Make workers Board/ not Scientific Board", "Being in Documenta is a Struggle", "With-drawing documenta". Gleichzeitig hat
das Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen sein Statement und seine Forderung zur Entfernung von bestimmten Werken außerhalb des Geländes an der Hafenstr. am Zaun befestigt, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Fronten sind gefestigt, eine Lösung erst einmal nicht in Sicht, jedenfalls nicht bis zum Ende dieser Großveranstaltung am Sonntag. Die verantwortlichen Beteiligten zeigen uns deutlich, dass sie es nicht geschafft haben die bestehende Schieflage einvernehmlich zu lösen, nicht für die Öffentlichkeit und nicht untereinander. Wesentliche Strukturfragen in Bezug auf die documenta15 sind im Verborgenen geblieben, ein für die Demokratie und die Zukunft dieser Weltkunstausstellung unhaltbarer Zustand. Hier scheinen sich die seit 600 Jahren bestehenden massiven Schieflagen zwischen dem "Globalen Süden" und dem "Globalen Norden" in einer Art Kulturkampf wiederzuspiegeln. Sie sind nicht dadurch zu lösen, dass Ruangrupa seit gestern eine Konferenz mit fast ausschließlich aus dem "Süden" stammenden eingeladenen Gästen und Künstler*innen abhält, zu der jedenfalls nicht alle Künster*innen der d15 hinzugebeten wurden. Man ist trotz aller positiven Statements der Presse gegenüber nicht bereit zu einem gleichberechtigten Dialog. Soll hier ein Exempel für einen "gerechten" historisch-kulturellen Ausgleich statuiert werden? Auch die documenta gGmbH stellt sich dem bestehenden Konflikt, der bis in die eigenen Reihen geht, öffentlich nicht. Die d15 endet mit einer ungelösten, weltweit bestehenden Kontroverse, in der sich die Fronten verhärtet haben. Handelt es sich hierbei um eine Unversöhnlichkeit, die uns in den nächsten Jahren weltweit treffen wird? Können wir nur auf diese Weise, nämlich durch Schweigen zu den (wirtschaftlichen, politischen und kulturellen) Grundkonflikten, miteinander umgehen?

13.09.2022
"Traces" - Vortragsreihe "Vergiftete Verhältnisse" auf dem Lutherplatz: Gespräch zwischen David van Reybrouck & Heinz Bude zum Thema "Indonesien und die Geburt der globalen Moderne".
David van Reybrouck hat Befragungen von alten Menschen in Indonesien durchgeführt, die noch die Bandung-Konferenz 1955 erlebt haben. Der Bandungtraum von Kooperation, Gleichheit der Menschen und Humanität ließ sich jedoch gesellschaftlich und politisch damals nicht durchsetzen und wartet bis heute auf seine Verwirklichung. Der dann folgende Völkermord hat in Indonesien tiefe Wunden hinterlassen, die bis heute nicht geschlossen sind und es gibt diesbezüglich viele Tabus. Genauso, sagt van Reybrouck, ist das auch in Deutschland in Bezug auf den Völkermord an den Juden. Die Schwierigkeiten, die auf der documenta fifteen aufgetaucht sind, haben ihre Ursache in der Begegnung der indonesischen und deutschen Traumata. Die offenen Wunden der Genozide in Deutschland und Indonesien schreien so laut, dass ein hilfreicher Dialog noch nicht geführt werden kann. Es ist peinlich für Außenstehende wie Betroffene, dass dies so ist, denn er muss dringend geführt werden. Beide Seiten haben Fehler gemacht. 
Der Klimawandel und der Kolonialismus hängen eng miteinander zusammen, denn die Länder, die Kolonien erobert hatten, haben ihn verursacht und die ehemaligen Kolonien sind auf der ganzen Welt diejenigen, die am meisten unter ihm leiden. Es gibt auch einen Kolonialismus der Luft und der Erde. Die Ursachen liegen nicht im Kapitalismus, sondern am Umgang mit geologischen und humanitären Problemen. Auch wenn wir angesichts der Problematik Hoffnungslosigkeit fühlen, müssen wir weiterhin versuchen diese Probleme zu lösen. Dies ist aber mit der Anerkennung der kolonialen, über Generationen hinweg wirkenden Traumatisierungen verbunden, die Täter- und Opferseiten offenlegt.
Aus traumatherapeutischer Sicht, so die Traumatherapeutin Regula Rickert, führt der Weg zur Verarbeitung der unbewussten Anteile der eigenen Psychotraumata über eine vorbehaltlose Akzeptanz der eigenen Dispositionen bis in die unbewussten Anteile hinein, zu einer Anerkennung der fremden Situation und einer systemisch geleiteten Aufdeckung der Parallelen indonesischer und deutscher Traumatisierungen sowie den damit verbundenen Tabus. Sie schlägt dafür eine szenografische Systemaufstellung vor - zunächst im geschützten Rahmen der jeweils betroffenen Gruppen -, die ihre eigene Disposition zunächst ausloten und neu formulieren dürfen, um sie in ihrem traumatischen Ausmaß ernst zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist es notwendig zu realisieren, wie auch über mehrere Generationen hinweg Traumata in Familien und Gesellschaften weitergegeben werden. Die transgenerationale Übertragung von Traumata ist heute in der psychoanalytischen wie verhaltenstherapeutischen Psychotherapie vollständig anerkannt. Dieser systemische Ansatz sollte auch auf gesellschaftlichen und künstlerischen Ebenen Gehör und Anwendung finden. Er würde möglicherweise positive Lösungsmöglichkeiten eröffnen.


10.09.2022 Ruangrupa - We are angry, we are sad, we are tired, we are united: Letter from Lumbung community:

Dear Christian Geselle, Angela Dorn, Susanne Völker, Claudia Roth, the Supervisory Board and the Shareholders of documenta,

We are angry, we are sad, we are tired, we are united.

We have tried our best to stay above the chaos, hostility, racism and censorship that have engulfed this edition of documenta. We have tried our best to stay focused and committed to our work and the promises and hopes of the lumbung. We have been resilient and in solidarity with our communities, friends, supporters, hosts and guests.

Today’s press release published here refers to a broader preliminary assessment. We have seen this preliminary report of the scientific advisory panel.

This report represents a new line crossed, and we categorically refuse it: This line marks a racist drift in a pernicious structure of censorship. We denounce the vicious attempt at censoring the presentation of the Tokyo Reels. The scientific advisory panel, appointed by the Supervisory Board of Documenta gGmbH in August 2022, has developed their preliminary findings.

In addition to myriad and problematic accusations, the report argues that “[...] the serious problems of documenta fifteen consist not only in the presentation of isolated works with anti-Semitic imagery and statements, but also in a curatorial and organisational structural environment that has allowed an anti-Zionist, anti-Semitic and anti-Israeli mood to prevail.”

Because we stand by our rejection of censorship, we vigorously opposed the creation of this scientific advisory panel. We do not accept the allegations of their preliminary report, which unashamedly reproduce poorly researched claims from the media; likewise, the report lacks scientific proof, academic references, rigorous argumentation and integrity.

For months we have continuously faced smearing attacks, humiliations, vandalism, and threats in major media outlets, as well as in the streets and in our spaces. What is even scarier is the normalized dismissal of these actions. We have detailed these experiences in our previous statements and this has been completely ignored by the Supervisory Board of Documenta gGmbH.

In this hostile environment, actors with a coordinated agenda have been determined to find any indication of pre-assumed “guilt,” twisting any critical detail into a simplistic anti-Semitic reading and repeating the same accusation again and again until it became accepted as fact. It is obvious to us that the same mechanism of passing the ball from cyberbullies and racist bloggers to mainstream media outlets to racist attackers on the ground to politicians and even to academics is being reproduced in each situation. It has clearly informed the mechanics of the “scientific” advisory panel.

We know what it means to be discriminated against due to color, ethnicity, religion, gender, sexuality, origin, caste, and/or disability. We understand the ways that our different anti-colonial struggles intersect. And that these struggles are faced in everyday life in society at large. We are committed to art’s role in resisting these broader societal injustices. And in the context of documenta fifteen and the specificities of the German context we see that the targeting of Palestinian artists is the point at which our anti-colonial struggles meet, and have become a focal point for attack. Anti-Muslim, anti-Palestinian racism, anti-queer, transphobia, anti-Roma, abelism, casteism, anti-black, xenophobia and other forms of racisms are racisms that the German society must deal with in addition to anti-Semitism.

We are outraged, we are exhausted, but our struggle will continue.

The preliminary report refers to the International Holocaust Rememberance Alliance definition of anti-Semitism.

By using this deeply problematic definition, which allows for the conflation of criticism of the State of Israel and criticism of Zionism with anti-Semitism, the scientific advisory panel creates a framework that sets up an inevitable condemnation of the lumbung, its structure, Palestinian artists and theirs works, and ultimately documenta fifteen as a whole. What kind of academic integrity purposely ignores history and facts in service of racist and hegemonic agendas?

The preliminary report equates critique of the current violent actions of the Israeli State with hatred. Consider the following inflammatory statement: “The anti-Israeli propaganda and its staged affirmation by the artists are likely to incite hatred against Israel and Jews.”

It indicates that the writers of this report reduce artistic practice to propaganda—an exceedingly complex term the scientific panel fails to define. Their simplistic notion of “propaganda” enables a specious argument that critique of the State of Israel is an incitement of hatred of an entire people—this is a very serious accusation that shocks and hurts us.

We reject it categorically. We refuse the intentional political maneuver that aims at separating struggles and dividing them from each other—dividing us from each other. We stand together, unconditionally and without hesitation, with our Jewish comrades and communities that have been the most outspoken. They know, like we know, that we are all in this together. We know that no struggle can succeed alone, that when the hostility has been high—and the aggression too hard to bear—it is Jewish voices in Germany that have entered to embody and amplify the Palestinian voice. They know, like we know, that safety is something that we build together, that safety is something that cannot be granted by the state. The state is concerned with security, but security is not safety: safety can only be created in community with others.

The question is not the right of Israel to exist; the question is how it exists. Resistance to the State of Israel is resistance to settler colonialism, which uses apartheid, ethnic cleansing, and occupation, as forms of oppression. The report states that, “A comparatively large number of works deal with the Arab-Israeli conflict. Almost all of these works express a one-sided critical or even decidedly anti-Israeli attitude.”

documenta fifteen is an exhibition which contains work by many artists who belong to wider grassroot movements that have struggled and are still struggling with colonial regimes. The Palestinian anti-colonial struggle emerges in many lumbung artists’ works because of the historical solidarities between these transnational anti-colonial struggles. The report tries to discredit this transnational solidarity by calling it a one-sided view of a (binary) conflict—reducing a historical and global complexity to caricature.

Despite its name’s evocation of “science,” the panel uses no clear methodology or set of definitions to make its assessment. Side-stepping the rigorous task of defining its terms, the panel repeatedly strings together “anti-Zionist, anti-Semitic and anti-Israeli”—effectively wiping out their vast differences in a metonymic blur. The scientific advisory panel’s conclusions about documenta fifteen’s supposed racism are predicated on this reckless conflation of terms. We refuse the simplistic, oppressive, pseudo-scientific approach of the Supervisory Board and the preliminary report’s lack of rigour. We understand this as a way of projecting onto and transposing German guilt and history into the Palestinian and other anti-colonial struggles. We recognise that in place of a meticulous methodology, the arguments use a lazy and vicious manipulation pitting those who critique oppression against each other, imposing false rifts between communities along the lines of identity. This is an obscuring tactic, instrumentalising one community against another. We refuse and condemn the selective use and weaponization of “science,” history and the other’s suffering.

We are determined, we are together, we are not giving up.

We do not give permission to be defined, inspected, re-colonised by yet another institution.

We refuse—and we act upon our refusal—in the same manners of the lumbung: we do it together, affirmatively and poetically. We assert that lumbung continues after documenta fifteen ends; our solidarity continues while your superiority, arrogance and power games end. From now on, everywhere and for many years ahead, we will be practicing our withdrawal from documenta, and building on the lumbung.

We refuse the Supervisory Board and shareholders’ aggressive, unvetted and intentionally humiliating form of criticism and judgment. We refuse Eurocentric—and in this case specifically Germancentric—superiority, as a form of disciplining, managing and taming. We come here as equals. We come here in power, and we come here to put ourselves in the public domain, with nothing to hide or be ashamed of. We come here as nothing less than equals, who can humbly learn from each other, who can help each other, who care about each other, because we know that our interdependency is the only path toward a more just planetary future.

We have been working with many grassroots groups in Kassel. We have shared our struggles and fears. We have taken criticism where criticism was expressed, and we have delivered criticism where criticism was required; this made us all stronger and more resilient. This is how art creates meaning, how it moves, how it should and does work. Opening our vulnerabilities and struggles to the audiences and publics in Germany has been an act of trust in audiences that are engaged like us, vulnerable like us, struggling within their locality like us, asking for solidarity like us, and willing to be in solidarity, just like us. We have witnessed audiences engage and critique, spending time with the work and ideas presented at documenta fifteen. We have been asked difficult questions and enjoyed so many inspiring conversations.

The openness and the inclusivity of the lumbung is how we imagine our world to be. It is not a mere practice for documenta fifteen; it is a model we have been practicing before we gathered here and which we will continue to practice as a way to be in solidarity, a way to be inclusive, a way for thinking, sharing, documenting, a way to fight, a way for resilience.

Signatories

Abdul Halik Azeez
Abiye Okujagu
Agus Nuramal
Ahmed El-Faour
Ahmed El-Jumaa
Alice Yard
Amol K Patil
Andre Eugene (Atis Rezistans / Ghetto Biennale)
Anna Sherbany / The Water Diviners
Another Roadmap Africa Cluster (ARAC)
Archives des luttes des femmes en Algérie
Arts Collaboratory
Asia Art Archive
Baan Noorg Collaborative Arts and Culture
Beat Raeber / Lumbung gallery
Black Quantum Futurism
BOLOHO
Britto Arts Trust
Can Yalcinkaya
Carima Neusser (Atis Rezistans / Ghetto Biennale)
Carlos Pérez Marín / LE 18
Centre d'art Waza
Chimurenga / Pan African Space Station
Clara Astiasaran / INSTAR (Instito de Artivismo Hannah Arendt)
Claudia Fontes / La Intermundial Holobiente
Consonni
Daniela Josefina & Camila Gonzalez (HAMBRE)
Edouard Duval Carrié (Atis Rezistans / Ghetto Biennale)
El Warcha
Elisa Strinna / Jimmie Durham & A Stick in the Forest by the Side of the Road
Erick Beltran
Ernesto Oroza / INSTAR (Instito de Artivismo Hannah Arendt)
Francesca Masoero / LE 18
Frederikke Hansen / documenta fifteen Artistic Team
Gertrude Flentge / documenta fifteen Artistic Team
Graziela Kunsch
Gudskul
Iain Chambers / Jimmie Durham & A Stick in the Forest by the side of the Road
ikkibawiKrrr
INLAND
Issa Freij / The Water Diviners
Jaroslava Tomanová
Jatiwangi art Factory
Joen Vedel / Jimmie Durham & A Stick in the Forest by the Side of the Road
Jumana Emil Abboud / The Water Diviners
Kasia Wlaszczyk
Keleketla! Library
Kiri Dalena
Komîna Fîlm a Rojava
Krishan Rajapakshe
Laila Hida / LE 18
Lara Khaldi / documenta fifteen Artistic Team
Laura Heyman (Atis Rezistans / Ghetto Biennale)
LE 18
Leah Gordon (Atis Rezistans / Ghetto Biennale)
Liam Morgan
Liz Woodroffe (Atis Rezistans / Ghetto Biennale)
Lydia Antoniou
MADEYOULOOK
Maria Thereza Alves / Jimmie Durham & A Stick in the Forest by the Side of the Road
Marianne Dautrey
Marion Louisgrand Sylla / Kër Thiossane
Marjin Kiri
Martin Heller / Lumbung gallery
Marwa Arsanios
Más Arte Más Acción
Members of Sada (regroup)
Nadir Bouhmouch / LE 18
Nailé Sosa Aragón
Nakasujja Harriet, Nabwana Isaac / Wakaliga Uganda (Ramon Film Productions)
Nancy Naser Al Deen
Nguyen Trinh Thi
Nha San Collective
Nicole Delgado / La Impresora
Nino Bulling
Noor Abed
OFF-Biennale Budapest
ook_reinaart vanhoe
Party Office
Paula Fleisner / La Intermundial Holobiente
Paula Piedra / Arts Collaboratory
Pedro Lasch (Atis Rezistans / Ghetto Biennale)
Pınar Öğrenci
Project Art Works
Richard Bell
Roberto N Peyre (Atis Rezistans / Ghetto Biennale)
ruangrupa
Sa Sa Art Projects
Safdar Ahmed / Refugee Art Project
Saodat Ismailova
Sebastián Díaz Morales
Serigrafistas queer
Siwa plateforme / L'Economat at Redeyef
Soumeya Ait Ahmed / LE18
Sourabh Phadke
Stefania Acevedo / Arts Collaboratory
Subversive Film
Tania Bruguera / INSTAR (Instito de Artivismo Hannah Arendt)
Taring Padi
The Black Archives
The Nest Collective
The Question of Funding
Trampoline House
Tyuki Imamura
yasmine eid-sabbagh
Yasmine Haj / The Water Diviners
Zeina Iaali / Refugee Art Project
ZKU (Center for Arts and Urbanistics)

Notes

Announced on August 1. See

Original text: “…die gravierenden Probleme der documenta fifteen nicht nur in der Präsentation vereinzelter Werke mit antisemitischer Bildsprache und antisemitischen Aussagen bestehen, sondern auch in einem kuratorischen und organisationsstrukturellen Umfeld, das eine antizionistische, antisemitische und israelfeindliche Stimmung zugelassen hat.”

Please read the previous statement by the lumbung community here

For a critique of this contentious definition see this open letter published in The Guardian

Original text: “Die antiisraelische Propaganda und deren inszenierte Affirmation durch die Künstler:innen sind geeignet, Hass gegen Israel und Jüdinnen und Juden zu schüren.”

Original text: “Vergleichsweise viele Werke beschäftigen sich mit dem arabisch-israelischen Konflikt. Nahezu in allen diesen Werken wird eine einseitig kritische bis hin zu dezidiert israelfeindliche Haltung zum Ausdruck gebracht.”

31.08.2022 Gestern wurde über die Nachrichtenagentur dpa bekannt, dass Ruangrupa dem Berliner Tagesspiegel ein Interview gegeben haben, in dem sie noch einmal betonten, dass die documenta-Organisation mit ihnen nicht über die Antisemitismusvorwürfe diskutiert hat. Ihrem Wunsch besser kommunizieren zu dürfen, wurde nicht entsprochen. Als die Vorwürfe zum Taring-Padi-Banner laut wurden "haben wir nicht verstanden, warum man nicht direkt mit uns spricht, es keinen Dialog gab." sagen Reza Afisina und Farid Rakun. "In Indonesien gibt es anders als in Deutschland noch kein richtiges Vokabular dafür, um zu artikulieren, was ein antisemitisches Motiv ist. Erst durch die Debatte haben wir begriffen, welch sensibles Thema Antisemitismus in Deutschland ist." Reza Afisina ergänzt, dass sie auch nicht verstanden haben, warum ihre öffentliche Entschuldigung nicht ausreichte und dass sie sich mit den Menschen in Kassel verbunden fühlen. "Hier hört keiner richtig hin, obwohl es uns gerade um den Dialog geht - das ist doch das Thema der documenta fifteen. Es gibt gar nicht den Wunsch, einander zu verstehen."
Warum ist das offensichtlich bis heute so? An die Stelle einer Dialogbereitschaft setzt die documenta-Organisation für 3 Wochen einen Container an den Rand des Friedrichsplatzes, der Gespräche mit Vertreter*innen des Anne-Frank-Instituts anbot. Er war - anders als von der lokalen HNA behauptet - wenig frequentiert. Rechnen die Menschen gar nicht mehr damit, wahrhaftige Dialoge führen zu dürfen? Ist die Dialogfähigkeit in einer immer doppelbödiger agierenden Politik nur noch ein Papiertiger, um der dringend notwendigen Kritik zu entgehen. Die Vorwürfe des Antisemitismus bleiben weiterhin unbeantwortet im öffentlichen Raum. Dafür muss es gravierende Gründe geben, die nicht wirklich offen liegen! Haben Ruangrupa hier vielleicht einen wunden Punkt berührt, der zeigt wie undemokratisch und unreif unsere politisch gewählten Kulturvertreter*innen eigentlich sind?
In dieser Richtung äußerte sich gestern auch Bazon Brock im Rahmen der Reihe Vergiftete Verhältnisse auf dem Lutherplatz, der die documenta dahingehend kritisierte, dass sie eigentlich schon seit 1992 in eine kulturalistische Phase eingetreten ist, in der die Politik und die Geldgeber bestimmen, wer die Ausstellung ausrichten darf und wie sie abläuft. Er weist darauf hin, dass man nicht "jeden Schwachsinn", z.B. auch den Wagner mit seinem antisemitischen Ansatz durch ein ästhetisches Gewand adeln darf, wie es Claudia Roth und Angela Merkel mit ihren regelmäßigen Besuchen der Wagnerfestspiele tun. Je mehr eine Kultur die Kraft ihrer individuellen Künstler*innenpersönlichkeiten achten kann, desto mehr würde sich der Zusammenhalt in einer demokratischen Gesellschaft festigen. Künstler*innen seien als Individuen auf die Anderen, die Mitmenschen hin orientiert. Ihre individuellen Positionen können diskutiert und Anlass für gesellschaftliche Neuausrichtungen sein. Die Einsicht, dass es jemanden gibt, der Besseres leisten kann als man/frau selbst und damit öffentlich werden darf, sorgt für eine positive Gesellschaftsentwicklung. Wenn jedoch, wie an den Hochschulen heute üblich, dieser Gedanke fehlt, stellen Hochschulen immer nur solche Professoren ein, die den Entscheider*innen unterlegen sind und sich zu dienlichen Bütteln der Politik machen. Wenn - wie auf der d15 sichtbar - nur noch die kulturelle Gruppenidentität gefeiert wird und individuelle Künstler*innen als Persönlichkeiten nicht mehr berücksichtigt werden, kann sich die Gesellschaft nichts mehr sagen lassen, kann die individuelle Position, die ja auch Verantwortung für ihr Tun übernehmen muss und Gesellschaften schon immer weitergebracht hat, dem anderen Menschen kein Mensch mehr sein. Ist dies die Ursache dafür, dass es der documenta mittlerweile traditionell an Dialogfähigkeit fehlt, weil der andere Mensch eben nicht mehr im höchsten Maße wertgeschätzt wird, sondern nur noch die möglichst heimlich im Hintergrund agierenden Geld- und Machtbesitzer das Szenario bestimmen?

28.08.2022 Im Fridericianum stellt die OFF-Bienale aus Budapest, eine basisdemokratischorganisierte Bewegung für die Unabhängigkeit der lokalen Kunst in Budapest, in Kooperation mit dem European Roma Institute for Arts and Culture ein fikives internationales Kunstmuseum, das RomaMoMa. Es zeigt die unerzählte Vergangenheit und Gegenwart von Roma-Künstler*innen und ihren Wurzeln, für die es bis heute keinen Museumsort auf der Welt gibt. Die Exponate bilden einen transnationalen, imaginären Raum, in dem die besondere Form der Kollektivität zu sehen ist, welche die Sinti und Roma als fahrendes Volk  für ihr Überleben benötigten. Zur gleichen Zeit kämpfen die Roma in der Ukraine im Schatten des Krieges um Anerkennung. Zur romanessprachigen Minderheit in der Ukraine gehören ca. 400 000 Menschen, die in allen gesellschaftlichen Bereichen Benachteiligung erfahren. Viele verleugnen ihre Herkunft, um sich der Diskriminierung zu entziehen. Eine große Zahl von ihnen lebt in gettoartigen Siedlungen in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen. Auch sie gehören zu den Flüchtlingen, die wegen des Krieges nach Deutschland geflohen sind. Nicht wenige wurden bei ihrer Ankunft wegen ihre Aussehens schlecht behandelt, erhielten keinen Zugang zu Flüchtlingsräumen oder wurden von der Polizei ohne Angabe von Gründen aus dem ICE geholt. In der Ukraine kommen die EU-Hilfen bei den Roma nicht an, sie können sich nur gegenseitig unterstützen, denn ihre Bürgerrechte werden ihnen auch in der Ukraine häufig verwehrt, aber sie wagen es nicht dies öffentlich zu machen. In der stadt Uschhorod werden in jeder ersten Klasse zur Einschulung nur jeweils 5 Roma-Kinder zugelassen. Dabei sitzt das Trauma der Verfolgung durch das Naziregime, bei dem eine Halbe Million Sinti und Roma ermordet wurden, noch tief im kollektiven Gedächtnis der Überlebenden und ihrer Nachkommen. Ihre Geschichten haben bis heute kein Gehör gefunden, auch Entschädigungen wurden ihnen verweigert, weil sie als Opfergruppe nicht anerkannt waren. Viele Roma kämpfen in der ukrainischen Armee gegen die Russen und schätzen ihre Staatsbürgerschaft. Aber die Integrationsbemühungen in der Ukraine stehen nur auf dem Papier. Jetzt ist eine deutsche Delegation mit dem Antiziganismusbeauftragten der Bundesregierung Mehmet Daimagüler in die Ukraine gereist, um sich ein Bild von deren präkärer Lage zu machen.
Wir, die wir und in Kassel in friedlicher Atmosphäre die Kunst des RomaMoMA ansehen können, sollten uns bewusst machen, dass das erlittene Leid dieser Bevölkerungsgruppe bis heute anhält, und dass hier nicht nur Aufklärungsarbeit notwendig ist, sondern auch dringend Hilfe benötigt wird, um den Nachfahren der Überlebenden der Nazidiktatur ein menschenwürdiges Leben und den Kindern die ihnen zustehende Bildung zu geben.

01.08.2022 So langsam wird die Antisemitiismusdebatte zur d15 immer bizarrer. Kaum ist der neue Interimsleiter der documenta gGmbH auch nur wenige Tage im Amt, wird von Elio Adler, dem Vorsitzenden des Jüdischen Vereins Werteinitiative sein Rücktritt gefordert, weil er nicht umgehend ein Heft von 1988 aus dem Fridericianum entfernen ließ, welches das Archives des luttes des femmes en Algérie im Rahmen ihrer Installation ausgestellt hat. Die Zeichnungen des syrischen Künstlers Burhan Karkoutly enthalten angeblich antisemitische Stereotype, in denen z.B. ein israelischer Soldat mit Hakennase von einer hellhaarigen Frau mit dem Knie attackiert wird. Das Werk war vor der Einsetzung von Fahrenholtz vorübergehend entfernt und durch die Staatsanwaltschaft überprüft worden, jedoch für rechtlich zulässig befunden worden, weil es die letztlich einfach nur die Gewalt darstellt, die hier von einer Palästinenerin ausgeht. Auch wenn man die antisemitisch anmutende, auf jeden Fall aber israelkritische Bildsprache kritisieren kann und muss, so sollte doch sachlich und für die Öffentlichkeit transparent mit ihr umgegangen werden anstatt immer neue Forderungen nach Konsequenzen für die documenta oder sogar ihre Schließung zu fordern, wie dies der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster tut. (HNA 29.07.22)
Diskutiert werden muss nämlich nicht nur, wie es zu der Darstellung von Stereotypen allgemein in der zeitgenössischen Kunst kommt, was sie bewirken und wann sie sinnvoll zu notwendigen aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskussionen beitragen. Es muss auch gefragt werden, was diejenigen, die diesen Diskussionen aus dem Weg gehen, selbst an bewussten und unbewussten fashistoid-machtmissbrauchenden Grundhaltungen vertreten. Und hier treffen wir auf ein grundsätzliches Dilemma der politisch Verantwortlichen. Sie haben oft über viele Jahre die schleichende Auflösung demokratischer Strukturen, den massiven Ausbau eines Kapitalismus der Wenigen auf Kosten der Mehrzahl der Bevölkerung gefördert und in Deutschland Werte zu Lippenbekenntnissen werden lassen. Die postkoloniale Kapitalismuskritik dieser documenta trifft den Westen härter als seine Akteure zugeben wollen, auch die lokal Verantwortlichen, die hinter verschlossenen Türen die Fäden ziehen. Man versucht es nun mit einer Mischung aus Schweigen und Schadensbegrenzung, müsste aber eigentlich zugeben, dass der allgemeine Werteverfall längst ein gesellschaftliches Monstrum geschaffen hat, welches im Untergrund seine antisemitischen und faschistoiden Strukturen formiert. Denn auch der Faschismus bildete sich auf der Grundlage einer immer unerträglicher werdenden gesellschaftlichen Spaltung zwischen wenigen mächtigen Priveligierten und einer von ihnen skupellos dem weltweit zunehmenden Hunger und elender Arbeitslosigkeit ausgesetzten Massen. Die faschistoiden Strukturen, die sich in der Türkei, in Russland und vielen anderen Ländern - auch in Deutschland - zunehmend ausbilden, haben ehrliche demokratische Haltungen zugunsten des Kapitals ausgehöhlt. Persönliche Haltungen werden im narzisstisch-machtbezogenen Setting nicht mehr nach außen vertreten, statt dessen werden immer neue stereotype Kommentare nach außen gebracht, die jede tiefere Ursachenforschung vermeiden.
Ist diese d15, die uns eine ungeheure Vielheit von gesellschaftlichen und politischen Geschichten der Unterdrückung, der Armut, Demütigung und Erniedrigung von Menschen zumutet, und uns zugleich ein Stereotyp der Freundschaft und Fairness anbietet, welches gerade von den lokalen Organisator*innen in keiner Weise angewendet wird, vielleicht einfach nur ein Ausdruck des weltweiten Zusammenbruchs der Menschlichkeit, aus und mit der sich Wirtschaftskriege immer entwickelt haben? Dieser globalen Dynamik ist das künstlerischen Kollektiv Ruangrupa, die eine unzensierte Vielzahl von internationalen Künstler*innen einluden, ausgeliefert, denn auch sie erfahren von den Globalplayern und den lokalen Politkapitalisten keine echte Unterstützung, sondern nur von den zahlreichen machtlosen, politisch irrelevanten Kulturschaffenden und Besucher*innen, denen, wie ihnen, echte Zugehörigkeit und tätig vertretene Werte vorenthalten werden. Können wir nur deshalb ein israelkritisches Blättchen unter zehntausenden nicht ertragen, weil wir selbst ohne es zu merken immer weiter in ein Pseudo-nie-wieder abdriften, welches sich längst neu formiert? Wollen wir da einfach nicht hinschauen?
Solidarität mit dem Leid der Palästinenser und Kritik am israelischen Staat müssen erlaubt sein und sind per se noch nicht antisemitisch. Was die auf den Boden im Fridericianum projizierte Videoinstallation an israelkritischen Bildern zeigt, ist kein "Kindermord" durch israelische Soldaten, sondern thematisiert die gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und israelischen Soldaten, bei denen 1988 ca. 50 Kinder und Jugendliche ums Leben kamen. Der politische pälestinensische Karikaturist Naja al-Ali aus Al-Schajara in der Nähe von Tiberias floh mit seiner Familie 1948 in den Libanon und wuchs in einem Flüchtlingslager auf. Er kritisiert in seinen Zeichnungen die Untätigkeit der arabischen Regierungen, die  Israel damals unterstützten und das Leid der Palästinenser irgnorierten. Seine Karikaturen zeigen israelische Soldaten zwar als Stereotype aus der europäische-antisemitischen Bildsprache, die im Nahen Osten aber auch von Arabern vielfältig genutzt wird. Sie wirkt durch die nun geplante Kontextualisierung nicht weniger antisemitisch auf uns, zeigt uns jedoch auch, in welcher Form Israelkritik bildsprachlich formuliert wurde. Historisiert man diesen Zusammenhang, werden wir auf das Ausmaß aufmerksam, welches die stereotypen ideologischen Haltungen gegenüber Israel ausdrücken, aber auch, dass die Intention war, das Leid der Palästineser zu zeigen, welches bis heute anhält und Hass erzeugt. Als Europäer und Deutsche sollten wir uns hier keinem einseitigen Schwarz-Weiß-Denken hingeben, denn dieser seit Jahrzehnten andauernden gewaltvolle Konflikt zwischen beiden Staaten ist viel komplexer als wir verstehen können und durch die politischen Ansprüche beider Seiten getragen. Die Menschen vor Ort wollen in Frieden leben und werden in ein schreckliches Hass-Szenarium getrieben, weil so viele Menschen auf beiden Seiten einen sinnlosen Tod gestorben sind. Wer menschheitlich denkt wird nicht so schnell einseitig über diese schreckliche Tragödie urteilen können.

24.07.2022
Die aktuelle documenta wirft die grundsätzliche Frage nach gemeinsamen Werten und moralischen Grundhaltungen im globalen Kontext auf. Die Kurator*innen des Künstlerkollektivs Ruangrupa versuchen die Stimmen des globalen Südens, der sich in den letzten Jahren systematisch weltwirtschaftliche Macht erarbeitet hat, in der Weltausstellung documenta als einem Produkt des globalen Nordens und der westlichen Vorherrschaft zu verankern. Ohne bisheriges Wissen über die documenta luden sie überwiegend solche Künstler*innen-Kollektive ein, die sich sozial und gesellschaftlich engagierten, obwohl sie über sehr geringe Mittel verfügten. Benachteiligung, Armut und Leid sind häufig auftauchende Themen, die jedoch davon ablenken, dass Indonesien, Indien und viele andere Länder des globalen Südens weltwirtschaftlich zunehmend an Macht gewinnen und den Kapitalismus als die leitende Idee ihrer Wachstumsprozesse betrachten. Freundschaft ist das wichtigste Motto  und Leitthema der zahlreichen Kollektive und der von ihnen eingeladenen weiteren Kollektive. So viele Freundschaften kann aber weder ein Einzelwesen noch ein Kollektiv pflegen und daher werden sie zu einer Art "Facebookfreundschaften", die keine emotionen Bindungen festigen und nachhaltige Verbindlichkeiten wohl nur selten nach sich ziehen werden.
Die von Ruangrupa verkündeten Werte gelten nicht für alle Beteiligten, besonders nicht für die lokale Organisation, die flächendeckender als in jeder anderen documenta für den Ausschluss von professionellen Kunstvermittler*innen und Kunsthistoriker*innen gesorgt hat. Die Inflation und Aushöhlung  der Werte aber ist es, die unsere Weltgesellschaften nachhaltig am Zusammenwachsen und an einer fairen Kooperation hindern. Je größer eine funktionierende Gesellschaft ist, desto nötiger brauch sie ein Moral- und Wertesystem, an welches der Großteil der Menschen glauben kann. Denn es sind im Gehirn nicht primär die intellektuellen Fähigkeiten, sondern die einfachen Strukturen früh erlernter Glaubensinhalte - seien sie religiös oder ethisch konotiert -, die Gesellschaften zusammenhalten. In der Vergangenheit waren das Judentum, der Islam und das Christentum die großen gemeinschafts- und kulturbildenden Moralsysteme, heute sind es die Werte der Demokratie (dem Ideal der Aufklärung verpflichtet) und des Kapitalismus, die Weltgeschichte schreiben. Die reichsten Menschen der Welt nehmen für sich die Glorifizierung ihres Machtstatus in Anspruch, verbreiten ihre Macht des Stärkeren und verzichten auch angesichts des Klimawandels auf eine grundlegende Haltungsänderung gegenüber der Mehrheit der Weltbevölkerung. Allenfalls sind sie zu steuersparenden Spenden bereit, wobei sie gleichzeitig eine immer größere Zahl von Menschen in einen aussichtslosen Kampf ums Überleben treiben. Die Destruktion dieser Verursacher*innen hat weltweit demokratische Strukturen aufgeweicht und ausgehöhlt. Aber ihre Namen tauchen auf der documenta nicht auf in der Kritik am globalen Norden. Warum??? Die politischen und gesellschaftskritischen Kunstäußerungen auf der d15 beschränken sich im Wesentlichen auf Vergangenheitsbewältigung und fügen dieser nur wenig nachhaltige Projektideen von Kollektiven hinzu. Die Idee der kollektiven Mobilisierung von Gesellschaftsveränderung in Richtung Gemeinwohldenken und Machtabbau bei den Hyperreichen erscheint oberflächlich und bedient häufig nur Stereotype. Von einem tatsächlichen globalen Aufbruch zur Freundschaft allen Benachteiligten gegenüber ist wenig zu spüren. Deshalb wirken die von Ruangrupa und ihren Kollektiven vorgegebenen Werte wie ein Motto, hinter welchem letztlich nur die Fortführung eines zementierten neoliberalen Konzepts steht. An einzelnen Stellen wird es sicherlich zur positiven Vernetzung von Kulturschaffenden und Projektler*innen kommen. Aber vielleicht darf man von einer Weltausstellung, die von großzügigen Spenden großer Konzerne abhängig ist, auch nicht mehr erwarten. Das Dilemma ist, dass die Menschen genau das auf der Weltausstellung suchen, was sie hier nicht bekommen: Gemeinschaftsbildenden Zusammenhalt.

18.07.2022
Am Samstag ist Sabine Schormann als Generaldirektorin der documenta gGmbH nach einer 7-stündigen Sitzung des Aufsichtsrates in Kassel zurückgetreten. Oberbürgermeister Geselle, der durch seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der documenta gGmbH, über seine Aufsichtsratsmitgliedschaft bei der Sparkasse und seine Parteizugehörigkeit parteipolitisch engstens mit Frau Schormann verbunden war, hatte nach Angaben der TAZ vom 18.07. bis zum Schluss an Frau Schormanns Verbleib festgehalten, die sich wochenlang jeder Aufklärung darüber entzogen hatte, wie es zu der Aufstellung des großformatigen antisemitischen Wimmelbildes auf dem Friedrichsplatz kommmen konnte. Wer die lokale Kulturpolitik der SPD in Kassel über viele Jahre verfolgen konnte, der weiß, dass die traditionelle Vormachtstellung der SPD ihre Entscheidungen grundsätzlich im Verborgenen trifft und dabei grundsätzliche Regeln des demokratischen Miteinanders ignoriert und systematisch aushebelt. Nicht nur der Ungeist einer missbräucherischen lokalen Machtpolitik hat die dringend notwendige Aufarbeitung zu den BDS- und Antisemitismusvorwürfen gegenüber Ruangrupa und der Künstlergruppe Taring Padi bisher verhindert. Vielmehr fehlte es der vorher für die Sparkassenstiftung tätigen Sabine Schormann von Anfang an an der nötigen sozialen und emotinalen Intelligenz ihr Amt angemessen zu vertreten. Schon an der KHS in Kassel fiel sie durch unfreundliches und sozial untragbares Verhalten auf. Im Konfliktfall verweigerte sie grundsätzlich jede Aufklärung und Diskussion, so wie sie dies in den letzten Wochen auch gegenüber der Presse, dem Kulturaussschuss des Bundestages und gegenüber Meron Mendel getan hat. Kooperationsfähigkeit, Offenheit und Fairness sind Reifemerkmale, die im demoktratischen System von Führungspersönlichkeiten verlangt werden. Dass sich im lokalen Veternwirtschaftssystem systematisches Schweigen, fashistoid wirkende Gespaltenheit und das Fehlen echter demokratischer Grundhaltungen breit gemacht haben, ist nichts Neues mehr. Seit Jahrzehnten verweigen die politisch Mächtigen ihren Bürger*innen genau die Grundwerte, die einen Staat, ein Land und eine Stadtraum zusammenhalten würden. Christian Geselle und seine Mitstreiter*innen sind im Wesentlichen aus demselben Holz geschnitzt wie Frau Schormann. Sie verweigern eine demokratische Aufklärung der Sachverhalte solange sie können, um sich machtpolitisch nicht in die Karten schauen lassen zu müssen, dies auch, wenn die Welt anlässlich der Weltkunstschau documenta auf Kassel und die von dort ausstrahlenden gesellschaftlichen und kulturellen Werte blickt. Erst wenn der lokale Sumpf endgültig ausgeräumt wird, kann eine grundlegende Debatte zu Antisemitismus mit dem Ziel der demokratischen Teilhabe für alle Bürger*innen gemäß ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten, und gegen die praktizierte Ausgrenzungspolitik stattfinden. Dazu müssten die Verantwortlichen nicht nur Selbstreflexion betreiben und ihre eigenen Grundwerte überprüfen, sondern auch dafür sorgen, dass reife Persönlichkeiten jenseits reiner Machtinteressen Führungspositionen besetzen. Dann jedoch wäre Herr Geselle ebenso untragbar im Aufsichtrat der documenta wie Frau Schormann als nun abgesetzte Generaldirektorin.
Was das indonesische Kollektiv Taring Padi angeht, welches sein 20 Jahre altes Großplakat mit antisemitischem Inhalt auf dem Friedrichsplatz installierte, schlagen wir der Gruppe vor, ein alternatives neues Wimmelbild zu schaffen, an deren Entstehung alle von Unterdrückung, Krieg, Ermordung und Armut betroffenen Weltbürger*innen beteiligt werden, ein Bild, welches die Wirtschaftsherrscher*innen benennt, die die Schere zwischen Arm und Reich auf der Welt immer größer werden lassen. Und solche gibt es auch in Indonesien und in Deutschland. Denn die heute aktuell Schuldigen, die die Ausbeutung der Mehrheit der Menschen systematisch betreiben, sind es, die eine Weltkunstschau aus der Verborgenheit ans Licht bringen muss. Dies jedenfalls würde die Kraft derer stärken, die sich für Demokratie und Mitmenschlichkeit allen Menschen gegenüber einsetzen.

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5.07.2022 Die Zeitung "Die Welt" berichtet: „Die Dimension der israelfeindlichen Verstrickungen von documenta-Mitarbeitern und -Künstlern ist noch wesentlich größer als bislang bekannt ...“ Markus Hartmann, ehemaliger Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Kassel hat die Namen der 2280 Beteiligten der documenta mit denen der 195000 Unterzeichner*innen der BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestment, Sanktionen) verglichen und herausgefunden, dass sich nach HNA-Angaben vom 14.07. sieben Mitarbeiter aus der künstlerischen Leitung, der kuratorischen Assistenz, der Programmkoordination und der Findungskommission sowie 67 Aussteller*innen, Kunstschaffende und Kurator*innen mit ihrer Unterschriften an Aufrufen zum Boykott vom israelischen Staat beteiligt haben. Auch die Kurdin Ayse Gülec zählt zu den Boykott-Befürworter*innen, die dafür eintreten, dass Regierungen und Institutionen die Handels-, Wirtschafts- und Kulturbeziehungen zum Staat Israel abbrechen sollen, weil dieser seine Gräueltaten gegen das palestinensische Volk nicht einstellt. Zum Boykott israelischer Kunstbeiträge wurden auch das MoMA in New York, die Sao Paulo Biennale und das Sydneyfestival aufgerufen. Der Bundestag hatte jedoch die Bundesregierung mit einem Beschluss ausdrücklich dazu aufgefordert, keine BDS-freundlichen Aufrufe zu unterstützen. Selbstverständlich darf man die seit vielen Jahren extrem prekäre Situation der Palestinenser*innen kritisieren, die von Israel betrieben wird. Dies jedoch mit einer internationale Ausgrenzung des Staates Israel oder den Zweifeln an seiner Existenzberechtigung gleichzusetzen, ist wohl kaum sinnvoll und dürfte auch staatsrechtlich nicht zulässig sein.
Dass Frau Schormann und Ayse Gülec allen jüdischstämmigen und israelfreundlichen Mitarbeiter*innen die Mitarbeit an der documenta fifteen verweigert hat, auch wenn diese sowohl von ihrer Berufserfahrung als auch von ihren Fachabschlüssen her priorisiert hätten eingestellt werden müssen und diese in keiner Weise palestinafeindlich in Erscheinung getreten sind, ist nachgewiesen. Denn warum sonst wäre Regula Rickert mit ihrer jahrzehntelangen Beruferfahrung im Bereich Kunstvermittlung und ihrer kunstwissenschaftlichen Fachkompetenz in Documentafragen die Arbeit als Kunstvermittlerin verweigert worden? Warum sonst geben die Genannten dafür auch auf mehrfache Anfrage hin keine Antworten? Dass in Kassels Lokalpolitik demokratisches Denken und Handeln schon lange keine Option für die Verantwortlichen mehr ist, ist ein offenes Geheimnis. Aber ob sich die Bundesregierung hier grundlegend einmischen wird hängt davon ab, ob sie selbst die Demokratie gegen die Missbrauchsherrschaft der im Hintergrund operierenden Geldmächtigen nachhaltig verteidigen will.


12.
07.2022 Wir sind sprachlos über die anhaltenden Schweigeszenarien der Documenta-Direktorin Sabine Schormann zum Antisemitismus auf der d15. In der Presse erschien eher oberflächliches Gerede. Eine fundierte Diskussion über den sich seit vielen Jahren weltweit ausbreitenden Antisemitismus, der für die documenta fifteen einen weitestgehenden Ausschluss von israelischen Künstler*innen und Kunstkollektiven bedeutet, scheint vor Ort nicht möglich zu sein. Man begnügt sich mit der Entfernung des großformatigen Wimmelbildes von Taring Padi und mit vordergründigen Entschuldigungen und Verantwortungszuweisungen. Man lässt zu, dass Hito Steyerle ihr Werk aus der d15 entfernt ohne sich um eine Diskussion zu bemühen. Wenn die Konflikte, die sich durch eine Weltkunstausstellung und ihre künstlerische Stellungnahme zu aktuellen Weltfragen ergeben, aufbrechen, sind sie ein guter Anlass sich öffentlich um die damit verbundenen grundlegenden Fragen zu bemühen, die uns alle angehen. Davor scheinen jedoch vor allem die politischen Verantwortungsträger*innen große Angst zu haben. Was befürchten sie denn? Muss ihre Show weitergehen, die eine schmerzhafte Selbstreflexion nicht zulässt? Die offiziellen Statments verweigern nachhaltig die Diskussion darüber, was der latente Antiisraelismus und die mit ihm verbundene Palestinafrage, was das viele Jahrzehnte andauernde Leid der Bevölkerungen dort mit uns und unserem gesellschaftlichen Selbstverständnis zu tun haben. Wie tief sitzt die Angst vor einer bestehenden Mitverantwortung und die narzisstische Kränkung der politischen Akteure? Persönlich involvierte Stellungnahmen und die Bereitschaft zu einem ehrlichen offenen Austausch kommen fast ausschließlich von jüdischer Seite. Der Rest findet hinter verschlossenen Türen statt und zielt darauf ab der Öffentlichkeit offizielle Statments zu präsentieren, an die das "dumme Volk" glauben soll. Da wir hier vor Ort wissen, dass Frau Schormann auch im Umgang mit den in der d15 Arbeitenden ausschließlich narzisstisch operiert, ihr persönlich Mitmenschlichkeit und persönliches Engagement an keiner Stelle wertvoll waren, können wir auch in diesem Fall kein offenes Zugehen auf die Fragen der vielen Betroffenen erwarten. Dass sie als Person für den Posten einer Direktorin ausgesucht wurde, basiert allein auf der Tatsache, dass sie Teil der örtlichen Finanzschikeria ist und vor allem dieser verpflichtet bleibt. Da aber die örtliche Geldelite als heimliche Herrscherin aller Kunstevents in Kassel fungiert, auch als solche unbenannt und unerkannt bleiben will, kann eine freie und demokratische Diskussion im öffentlichen Raum nicht stattfinden bevor diese Machthaber*innen ihre gemeinsame Haltung abgesprochen und über die von ihr bestimmten Medien veröffentlich hat. Dann ist der wichtige Zeitpunkt allerdings verpasst, zu dem sich Menschen eine sich positiv entwickelnde Demokratie engagieren lassen, denn die Bevölkerung hat sich selbst untereinander längst ihre eigene Meinung gebildet, dies leider oft wenig fundiert und in Form von substanziellen Abwehrmechanismen. So geht wieder eine Chance verloren gemeinsame Narrative und Haltungen zu entwickeln, die eine demokratische Gesellschaft in die Zukunft tragen könnten.

21.06.2022 In der Gesprächsreihe "Vergiftete Verhältnisse - Gespräche zur Gegenwartskunst", die von TRACES und dem documenta institut organisiert wird, ging es heute abend auf dem Lutherplatz um das Thema "Holocaust oder postcolonial studies". Die Gesprächsreihe thematisiert die desaströsen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die das Erscheinen von Kunst im öffentlichen Raum begleiten. Heinz Bude moderierte die Diskussion zwischen Natan Szaider und René Aguigah. Und natürlich war Teil der Diskussion die am Tag vorher von der documenta-Leitung vorgenommene schwarze Verhüllung des Großplakats des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, welche ihr 20 Jahre altes Protestwerk auf dem Platz vor der Documentahalle mit antisemitisch aufgeladenen Szenarien erst nach den Vorbesichtigungstagen und der Eröffnung der documenta aufgebaut hatten. Taring Padi hatten zuvor in einer Presseerklärung versichert, dass die antisemitische Darstellung von israelischen Soldaten des Mossad mit Schweinsgesichtern und die Karikatur eines orthodoxen Juden mit SS-Runen am Hut Teil ihrer Kampagne gegen Gewalt und Militarismus in Indonesien sowie die 32-jährige Gewaltherrschaft des damaligen Präsidenten Suharto gewesen sei, auf sie hier erneut hinweisen wollten. Ihre Beteuerungen können jedoch nicht davon ablenken, dass Taring Padi mit dem Großplakat an exponiertester Stelle auf dem Friedrichsplatz in Kassel eine bewusste antiisraelische Provokation inszenierten, die den israelischen Staat mit seinen Soldaten als militante, Gewalt ausübende Schweine zeigt und die Juden als Glaubensgemeinschaft und als hasserfülltes Symbol des personifizierten Bösen ganz im Sinne plakativer Nazikunst. Die Behauptung der indonesischen Künstlergruppe, sich der Brisanz und Botschaft ihres Großplakats nicht bewusst gewesen zu sein, erscheint so doppelbödig und pervers, dass vielen Betrachter*innen der Atem stockt. Auch die ersten offiziellen Reaktionen der documenta gGmbH  durch Sabine Schormann und ruangrupa waren verhaltend bis sich wichtige Vertreter*innen jüdischer Vereinigungen und der Politik öffentlich äußerten und die Entfernung des Werkes verlangten. Die Verhüllung und der für den 22.06. geplante Abbau des Werks löste eine erregte Debatte über Verantwortung und Folgen des Umgangs mit antisemitischen Provokationen auf der d15 aus. Denn eines wird ja allen Beteiligten deutlich: Die Macher*innen der d15 haben sich weder im Vorfeld auf eine öffentliche Diskussion in Bezug auf die andauernden antisemitischen Vorwürfe eingelassen noch tun sie dies jetzt.
Das betonte auch
Natan Szaider, der sich als Jude eher gegen eine Verhüllung und Entfernung des Großplakates aussprach, um vor Ort das Thema Antisemitismus auf lokaler und globaler Ebene mit ruangrupa und der Leitung der documenta gGmbh grundlegend diskutieren zu können. Nun werde das Thema wieder "zugedeckt" und im illustrierten öffentlichen Skandal banalisiert. Dies hätte allerdings von den Verantwortlichen mehr Einsatz verlangt als sich einfach nur grundsätzlich öffentlich gegen Antisemitismus zu positionieren und den Stein des Anstoßes zu entfernen.
Für uns zeigt sich einmal wieder, dass die politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen der wirklich brisanten Diskussion über Ausgrenzungs- und Antisemitismusentwicklungen in den eigenen Reihen und im eigenen Bewusstsein, der Tatsache, dass sie selbst sich an einem schleichenden, faschistoiden Spaltungsprozess der lokalen und globalen Gesellschaft beteiligen, ausweichen.
Szaider jedenfalls ist mutig genug, sich solchen Diskussionen zu stellen. Für ihn sind sie Teil von Gesellschaftsentwicklungen, die der Tatsache Rechnung tragen, dass es kein festzulegendes allgemeingültiges und übergeordnetes moralisches Universum geben kann. Und er stellt mit René Aguigah die Frage, ob die Wahrheit und die Bereitschaft auf die eigenen Spuren zu blicken nicht doch eher bei den Machtlosen liegt, dies sowohl den Holocaust wie die Postcolonial studies betreffend.

20.06.2022 Tanja Bruguera founded INSTAR, a collective of civil rights in Havanna, Cuba. As an activist she brings her collektive to Kassel and waives on presenting her own artistic project on d15. As the cubanian government is a totalistic organised one and insist on deciding who is supposed to be an artist and who not, she gives hushed up cubanian artists a plattform to be seen and noticed with their work, and includes them into international arthistorical knowledge. Regula Rickert worked for Tanjas project "Untitled" on d11 in 2002 as a performer in here installationperformance about the wars since 1945. Tanjas "arte útile" breakes loose from pure representation art and and puts her art in the disposal of political and social needs. We will see how this collectiv thinking is beining followed by the artists of INSTAR.

19.06.2022 Am Samstag feierten die geladenen Gäste mit Frank Walter Steinmeier die Eröffnung der documenta fifteen. Eingeladen war die Kasseler Polit- und Geldelite, Mäzene, Minister*innen aus Hessen und Bundestagsabgeordnete. Wieder einmal bestätigte man sich gegenseitig wie viel man doch für diese Weltkunstausstellung getan habe und wie wichtig es sei, das Ideal der Kollektivität in der Bevölkerung zu verankern. Auch ruangrupa ist nun offiziell in diesen Geld-Macht-Rahmen aufgenommen. Sicher werden viele gute wirtschaftliche Verbindungen zwischen Indonesiens und Deutschlands reichsten Bürger*innen aus dieser documenta hervorgehen. Der Kollektivgedanke ist ja auch nicht falsch, nur wird hier bewusst verschleiert, dass die "Kollektive" eigentlich von Geldmachtherrscher*innen geführt werden, die den ehrenamtlich Beitragenden nicht einmal ein Ticket für die eigene Teilnahme an der d15 geben wollen. Haben wir es also mit einer Form der Kollektivität zu tun, die als falsches Spiel inszeniert wird? Wir glauben schon, denn viele Menschen sind von der Teilhabe an der documenta ausgeschlossen, dies obwohl sie ihre Hilfe beim Aufbau und in anderen Jobs angeboten hatten oder sich für Jobs beworben hatten. Jobs bekamen aber nur die Kinder der Reichen, der Politschranzen, oder der durch diese gnädig geförderten Mitglieder ihrer Scheinkollektive. Ein ehrliches Teilen, die Förderung der Zusammengehörigkeit aller (lokalen) Gesellschaftsmitglieder, die sich für die d15 einsetzen wollten, mit andern Worten eine echte demokratische Gemeinschaftsbildung war nie Ziel dieser Organisator*innen. Sie fühlen sich nur wohl, wenn sie sich selbst als "Kollektivexpert*innen" inszenieren können. Gemeinwohl und kulturelle Gemeinschaftlichkeit ist nicht ihr Ziel. Schade! Lumbung hätte eine friedliche Kulturrevolution für Demokratie und gegen den Kulturkapitalismus werden können!

13.06.2022 Warum dokumentieren wir das hier? Dies ist die Frage, die uns immer wieder gestellt wird. Darauf kann es nur eine wesentliche Antwort geben: Wir können die Machtmissbrauchsverhältnisse und den Ausschluss von Künstler*innen aus dem offiziellen Kunst- und Kultursystem nicht ändern. Das haben auch ruangrupa längst eingesehen. Wir können nicht ändern, dass unser sogenannt demokratisches System völlig zerrüttet und von den lokalen wie globalen Geldmächtigen manipuliert, bestimmt und für ihre Zwecke missbraucht wird, denn nur sie bestimmen, wer dazugehören darf in dieser Gesellschaft und wer für nicht existent erklärt wird. Wir können nicht ändern, dass die Ausstellungen von ausgegrenzten Künstler*innen in den Medien nicht angekündigt, der Kunstmarkt auch diese documenta als ein falsches Spiel der Mächtigen mit der Kollektividee inszeniert. Hier zeigen wir, dass Kunst im Grunde ein Bewusstseinszustand ist, dass Selbstermächtigung weiterhin existiert. Es ist unsere Möglichkeit Teil dieser Gesellschaft zu sein, indem wir dies dokumentieren. Natürlich können wir auch weiterhin Kunstgegenstände ausstellen, wenn auch nur im Rahmen kleinster persönlicher Kreise. Aber im Grunde geht es heute darum ein Bewusstsein zu erhalten, das Bewusstsein, dass wir als Künstler*innen Teil der Gesellschaft sind, auch wenn die Mächtigen uns diese Teilhabe systematisch und über viele Jahre verweigern. Nichts ist so wirkungsvoll wie dieses künstlerische Bewusstsein, mit dem wir in und jenseits der Medienwelt, jenseits von Anerkennung uns selbst jeden Tag neu erschaffen. Denn hierhin dringt weder die Scheindemokratie noch die Geldmacht vor. Wir schöpfen aus dieser lebenslang sprudelnden Quelle eines Bewusstseins, welches keine Macht dieser Welt uns nehmen kann.

31.05.2022 Is the documenta fifteen a capitalistic and fashistoid system? The local organisation of the art-show is it for sure, because again the workers are divided in few very well payed managers and a very badly payed working-class. Also lots of regularly nesserary work like watering the flowting gardens of Ilona Németh are to be done by volunters. Not clear is how much the managers of the 14 chosen collektivs get or where the money they need for their living comes from. Collectivs can be organised by a hiden leader, who is payed and talks to the public, or they can be organised as a democratic collective, which shares work and even money equally or in taking care of the different needs of their members. If there is a manager-artist-personality, who is in charge of leading a collective, like in the artprojects of the
Indonesian Jatiwangi Art Factory, which are initated by a possibly rich mayor of an indonesian city, or the projects of reinaart vanhoe, who initiated besides involving different collectives in the weaving of a big carpet out of old cloth to recycle material at the Neue Brüderkirche, the collective is organised hierarchically. The intiators of these kinds of collectives get the publicity and power, also money - at least through an ongoing artistic career. This is of course a capitalistic thinking, because the initiators use the invited participants as voluntary workers for their projects. The participants choose to work for no money and get a collective feeling of working together for some few hours. But this collectivity is not sustainable and is not involving democratic structures. There will be lots of honorary workers on documenta fifteen, who will never be supported in a lumbung structure, because they have to make a living and pay their energy-costs and rents beside their jobs on d15. It would of cause be fair to give them a free ticket for visiting documenta or offering food for free on days they work without getting payed. But this the d15 doesn´t want to give. We should believe in participation as fun and a giving gesture, but how do they involve people who are in need of work for their living, because the corona-crises took their jobs? They are excluded like everywhere in the world neoliberal capitalism does. In the western world there are more and more people suffering from incomes that don´t feed them any more. Max Horkheimer said 1939 (The Jews and Europe) that late capitalism comes to the point, where the few billionaires cannot reach enough profits any more from the masses, so they harden the working conditions for the many and systematically tip over the democratic structures into strong hierarchic ones. In order to survive the masses have to follow the system, become fearful, helpless and easily led numbers without personal expressions. Only few rich family-groups will get the chance of ruling and getting managerpositions, even if they are not nessesarily have to take on work at all in their lives. (Are the members of ruangrupa such people?) The price to work and rule in a increasingly more neofashistic system, which necessarily develops itself out of rampant, not limited capitalism (Horkheimer) is disastrous, because the manager-personality develops brutal and unhuman methods against the suffering masses. This destructiv system will never survive without destroying humanity through medial fears (hunger, war, surveillance, dependency of the many, also pandemies) and constructing hopes of independence, regeneration, freedom and a good living. Cultural practices have always been used for giving people the hope of a better life, culturally, socially and politicly, to be nurrished personally and collectivly, because people need social involvment as much as a secure income for a living. But in combination with a late capitalistic system with fashistoid structures these hopes tend to be a lie, which then is a destructive mechanism on the path to fashistoid political and social structures.  As far as we know until now this documenta treats their voluntary workers badly und plays "collectivity" as a game of hope, which the workers should nourish without beeing truely nourished themselves. Lots of these hopeful workers for proper ideals will be exhaused soon and end in depressiv and overworking situations. But they will not be seen then or taken care for. They will not be part of lumbung!
 

21.05.2022
schon im letzten Jahr hatte ruangrupa ihr Konzept Lumbung (Reisscheune) unter die ethischen Werte der Freundschaft gestellt. Es gab Online-Veranstaltungen zu den ethischen Werten, welche die documenta 15 bestimmen sollen: Humor, Großzügigkeit, Unabhängigkeit, Genügsamkeit, Neugier, lokale Verankerung, Transparenz und Regeneration. Diese hohen Ideale sind offensichtlich Teil der überwiegend muslimisch geprägten indonesischen Kultur, wie auch des durch die Demokratisierung aufgeklärten Christentums. Aber geht ruangrupa hier möglicherweise davon aus, dass sie uns diese Werte in neuer Weise nahebringen können? Unterstellen wir einmal das ehrliche Ansinnen der Ausstellungsmacher (in der Öffentlichkeit treten bisher nur männliche Vertreter der Gruppe auf), und gehen wir davon aus, dass sie diese Werte kollektiv verinnerlicht haben und im Rahmen ihrer Kollektive umsetzen, so wird doch deutlich, dass diese Werte von der lokalen Ausstellungsinfrastruktur nicht vertreten werden. Die documenta 15 wird, wie jedes Wirtschafts- und Kulturprojekt in Deutschand, zum bloßen Politspiel der Staats- und Geldmächte, wenn nicht auch vor Ort der narzisstische Missbrauch von Macht einer von Kooperation und Freundschaft getragenen Kultur weicht, zu der jede und jeder gehört, der im Rahmen der d15 aktiv werden möchte und Essentielles beitragen kann. Wenn Gruppen wie das von Frauen getragene Kollektivcafé Kurbad Jungborn an der Fulda oder Künstlerinnen und Kunstvermittlerinnen, also vor allem Frauen, absichtlich ausgegrenzt werden, ist der lokale Ansatz der d15 reiner Fake. Dann lernen wir, dass diese Werte für Frauen nicht oder viel weniger gelten als für Männer, dass Frauen nur als Diener*innen für die männlich inszenierten Projekte erwünscht sind und dass allgemein ein Konsens zwischen ruangrupa und der lokalen Ausgrenzerogra besteht, hohe Werte vor die tatsächlich stattfindende Spaltung der lokalen Kultur und die damit verbundene Ausbeutung zu setzen. Fairness, Freundschaft und Inklusion waren schon immer Werte der Demokratie, wenn sie aber zu leeren Hülsen für ein lokales und internationales neoliberales Missbrauchssystem werden, werden sie bedeutungslos und richten - im Gegenteil - auch wirklich Schaden an.

19.05.2022 "Just start from friendship and see where that leds to ..." Oh, yes, that is the starting point of relationships anyway! Immanuel Kant called it the will to good sense,  the base of commoning. It means to give everybody you meet an positivly conotated space for an equal relationship and common future. In former times this space was created through religious ideas and ideologies, which made people feel belonging together. Now the individual is not embedded naturarly into a lifelong community, but chooses a place or a group it belongs to. Quiet often in modern society people feel that they don´t belong to anything and anybody, if they lose their partner, work or securities or are exluded socialy or politicly. If they are again and again treated badly from a neoliberalist system or such actors, they are losing hope, that there will be any chance to have a common ground with others, a basic platform for building up some trust and sense of life. The question is though how to take care for creating a positive, sharing and supportativ meeting area to welcome everybody just because he or she is a living beeing besides indivudual interests or whishes. If politics exclude local experts from participating, sharing and coworking in documenta fifteen, as they did, they destroy not only the basic ground of democratic principles, but also the basis of humanity and human commoning itself. And we are all responsible to stop people from doing so. Starting from friendship means to take the other being seriously and provide a common space for a nourishing and productive work. Nowbody is to be left behind who can offer work, knowledge, joy and friendlyness.

18.05.2022 Reinaart Vanhoe veröffentlichte 2016 einen Text zur Arbeit von ruangrupa im Rahmen seiner Forschung an der Rotterdam University of Applied Science: Also Space, from Hot to something else. Aus dem umfangreichen Text werden wir in Zukunft öfter berichten. Auf Seite 37 sagt er, dass runangrupa sich besonders mit den Realitäten der unteren ökonomischen Bevölkerungsschichten befasst, mit den dort zu findenden Mentalitäten, prekären Beziehungen, ihrer Selbstorganisation und ihrem Einfallsreichtum, dies besonders im urbanen Raum. Die fiktionale Präsentation dieser Umstände im ästhetischen Raum soll die Imaginationen der Betrachter*innen anregen und der intrinisischen Macht der betroffenen Leute ein Gesicht geben. Wird sich also diese documenta besonders den in Kassel eher ungesehenen und nichtrepräsentierten Mitgliedern der Gesellschaft zuwenden, den Ausgegrenzten zur Teilhabe am kollektiven Bewusstsein der Stadt und des Landes verhelfen und sie ins kollektive Gedächtnis einbringen?
Angesichts der Tatsache, dass in ganz Europa, auch in Deutschland, durch die Corona-Krise und die immer stärkere politische Ausgrenzung der in Not geratenen Gruppen der Bevölkerungen hier eine ennorme Aufgabe virulent ist, fragt frau sich, ob ruangrupa den Teilen der Bevölkerung, die wegen kleiner Renten, steigender Preise, Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfe um ihr Überleben kämpfen, überhaupt einen Zugang zur d15 ermöglichen wird. Erste Pflicht müsste es sein diesen Menschen einen kostenfreien Zugang zur d15 zu ermöglichen. Bisher ist dies - außer durch einen kleinen Preisnachlass - wohl aber nicht geplant.

12.05.2022 Die d15 startet diese Woche mit einem vorgezogenen Beitrag von Dan Perjovschi. Er färbt die Säulen des Friedericianums in einem dunklen Graubraun und beschriftet sie wie Tafeln mit weißen und schwarzen Symbolen, Zeichen und Texten, die für Solidarität, Frieden und  Nachhaltigkeit eintreten sollen. Dabei versteht er die Säulen als Symbole für Tranzparenz, Humor, Regeneration, Großzügigkeit, Lokalität und Angemessenheit, die sich als Qualitäten auf der documenta wie eine Art Ökosystem ausbreiten sollen. Wenn aber Solidarität, Nachhaltigkeit, Frieden und Politik sich als Hauptthemen der d15 in Kassel wirklich etablieren sollen, dürften nicht im Vorfeld dieser documenta schon Ausgrenzung, Hass und antisemitische oder rechte Pervertierungen dieser Lebensqualitäten regieren. Insider wundert es nicht, dass ruangrupa  ausschließlich mit den seit Jahren fest gefügten politischen Herrscher*innen kommunizieren konnte, die genau diese Qualitäten in Kassel systematisch und nachhaltig unterbinden. Wir müssen uns wohl mit einer weitere Fake-Inszenierung der politischen Geldmachtszene abfinden. Denn ruangrupa will, so die Aussage von Reza, ja nichts "ändern", weder gesellschaftlich noch politisch. Tragisch, dass ihnen nicht bewusst ist, dass
sie damit genau den kapitalitischen Missbrauchsstrukturen zustimmen, die sie mit den genannten Tugenden und Idealen eigentlich nicht vertreten wollten. Sie können sich, dass müsste eigentlich klar sein, aber nicht aus ihrer Mitverantwortung für die bestehende Kunst-Macht-Markt-Dekadenz heraushalten.

04.05.2022 In der Reportage zu Künstlerkollektiven von Twist wird Elke Buhr zum Thema interviewt. 
https://www.arte.tv/de/videos/100851-009-A/twist/
Sie stellt die wichtige Frage, was an der kollektiven künstlerischen Arbeit über den Prozess der Künstlergruppen hinaus, der sicherlich in Sequenzen auch ausstellbar sein kann, für die Betrachter sichtbar wird. Wie können Besucher*innen von Kunstausstellungen an der Kollektivität und den Kunstprozessen teilhaben? Sicherlich gibt es in der Weltbevölkerung und auch im Welt-Kunst-Raum - wenn es einen solchen geben sollte - angesichts einer von immer komplexeren egoistischen wirtschaftsfaschistischen Systemen geprägten Welt, in der eine zunehmende Zahl von Menschen leiden, ein immenses Bedürfnis nach nachhaltig solidarischen, kooperationsfähigen und kollektiv demokratisch wirksamen Strukturen. Aber kann uns die bevorstehende documenta 15 hier entscheidende Einsichten vermitteln, die uns helfen einer neoliberalen Marktwirtschaft Grenzen zu setzen und den globalen und lokalen Shift in die kapitalistische Destruktion aufzuhalten?
In der zeitgenössischen Kunst ist das Thema Partizipation nicht neu. Schon seit den 1950er Jahren rücken Entstehungsprozesse von Kunstwerken und ihre Beziehung zu Betrachter*innen in den Fokus der Kunst. In Performance, Happening und Aktionskunst wurden Besucher*innen zum Mitschaffen am Kunstwerk angeregt. Nicht nur Objekte, sondern auch Handlungsräume werden zum Kunstwerk, in denen Betrachter*innen die Rolle von Mitspieler*innen übernehmen. Dass sie allerdings über die Handlungsbeteiligung am Kunstprozess hinaus zu Mitproduzent*innen werden, findet nur in den allerseltensten Fällen statt. Auf der d13 wurden die Besucher*innen von Tino Segals Black Box zu Mitakteur*innenen in einem kollektiven Beziehungsprozess, der sich täglich und stündlich neu formierte. Interessant sind in diesem Zusammenhang Forschungen zu individualpartizipatorischen, systemischen, konjunktivistischen und sozietären Partizipationsprozessen, die auf den Kunstraum übertragbar sind. Nicolas Bourriaud spricht von einer relationalen Ästhetik, wenn ein Kunstwerk die Fähigkeit besitzt menschliche Beziehungen zu schaffen.

15.04.2022 Die "Kunst des Miteinanders als globale Überlebensstrategie", so überschreibt das Kunstforum seine neueste Ausgabe im Band 281. Gefragt sind ästhetische Resonanzräume, die dem fortschreitenden Klimawandel, den Kriegen und den durch die Pandemie entstandenen Schäden mit wegweisenden Kulturkonzepten und kollektiven neuen Handlungsmustern begegnen können. Wie Pilze und Baumwurzeln sind wir ungewollt alle Teil eines symbiotisch verflochtenen Myzeels von destruktiven Strukturen der Ausbeutung und Zerstörung wie der Kooperation in größeren und kleineren Gemeinschaften. Welche Gemeinschaftsökologien können wir entwickeln? Welche Aufgaben können Kunst-Netzwerke, Kunstkooperativen hier übernehmen, welche politischen und gesellschaftlichen Fragen nicht nur aufwerfen, sondern auch beantworten? Auf diese Fragen will auch die documenta 15 Antworten finden, soweit sich ihre Besucher*innen auf die bereitgestellten ästhetischen Resonanzräume einlassen können. Das dafür mitzubringende Vertrauen könnte eine Hürde sein, die eine nachhaltige Wirkkraft der Kunst verpuffen lässt, denn nicht selten erlebt der globalisierte Mensch heute seine Hilflosigkeit angesichts der sich anhäufenden sozialen Probleme, die er alleine, aber auch in kleineren Gemeinschaften kaum bewältigen kann. Die Aufgabe, die sich ruangrupa für die d15 im Angesicht einer weltweiten Krisensituation gestellt hat, den globalisierten Kunstraum zum interaktiven Kooperationsfeld zu machen, ist viel zu groß. Hier sind wir alle gefragt! Was können wir - auch als Einzelne - tun, um das Wirkungsfeld eines aus der Kunst erwachsenden gesellschaftlichen Aufbruchs zu unterstützen? Wie unsere Potentiale zusammenschalten?

14.04.2022
Gestern haben sich Reza Afisina und Iswanto Hartono von ruangrupa erstmals der Kunsthochschulgemeinschaft der Kunsthochschule Kassel vorgestellt. Sie werden als Gastprofessoren für das SS 2022 und das WS 22/23 an der KHS tätig sein und rufen zu einer gemeinsamen Arbeit auf. Als Grundlage dafür sind (Vorschuss-)Vertrauen und Kooperation Leitlinien. In weiteren Veranstaltungen wird Student*innen die Möglichkeit gegeben Einblick in die kuratorische Arbeit von ruangrupa zu erhalten, sowie die theoretische und praktische Arbeit der d15 kennenzulernen. Inwieweit Student*innen in eigenen Kollektiven auf der d15 künstlerisch beteiligt sein können, ist offen. Nicht das Kunstprodukt soll Ausstellungsgegenstand der d15 sein, sondern der Prozess kollektiver Kooperation. Die kreative Zusammenarbeit lebt dabei von den Fähigkeiten und Ressourcen, welche die Beteiligten konkret in den gemeinsamen Entwicklungsprozess einbringen können.

28.03.2022 Ergänzend zum vorherigen Beitrag wurden wir darauf hingewiesen, dass es nicht nur eine von den lokalen Milliardären seit Jahren geführte Ausgrenzungsliste bezüglich Veröffentlichungen in der Lokalpresse gibt, sondern eine solche auch durch den Milliardärsminister in Hessen an die documenta-Institutionen und die Stadt herausgegeben worden sein soll. Dies würde zeigen, dass sich in Kassel eine verdeckte Oligarchie entwickelt hat, deren Akteur*innen in der Öffentlichkeit nicht auftauchen, die aber die demokratisch gewählten Vertreter*innen der Stadt vollständig und kriminell unter ihre Herrschaft gebracht haben. Vielleicht können wir hierzu weitere Fakten sammeln und dann auf Bundesebene aufklären lassen. Denn offensichtlich wird eine Klärung in verfilzten Hessen kaum möglich werden, weil zu viele Menschen von der lokalen, antidemokratisch eingestellten Oligarchenmafia abhängen. Und wie in Deutschland schon einmal nachweislich geschehen: Es steht keiner auf gegen den faschistoiden Sumpf.

26.03.2022 documenta 15 antisemitisch infiltriert? Mehrfach hatte das Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus (BgA) eine Debatte zur möglichen Sympathie des Ausstellungsleitungskollektivs ruangrupa zur Boykottbewegung gegen Israel angestoßen. Jetzt wird das Bündnis von der documenta gGmbH rechtlich verfolgt statt zur Klärung der Sachlage beizutragen,
dies mit einem renommierten Medienrechtler und allen ihm zur Verfügung stehenden unlauteren Rechtstricks. Aber so ist das in Kassel schon seit vielen Jahren. Vernünftige Kommunikation und Einhaltung der demokratischen Rechte gegenüber Bürger*innen sind keine Option mehr für diese von der lokalen SPD gestützte Missbrauchswirtschaft. Mindestens drei Generationen von Bürgermeister*innen haben sich hier schwer schuldig gemacht.
Zu den Fakten: Schon im Herbst 2019 trat ein Mitglied von ruangrupa im Rahmen eines Online-Seminars der Documentaprofessorin Nora Sternfeld zu Weltkunstausstellungen an der Kunsthochschule Kassel mit einem Nazi-Comic-Porträt in Zoom auf, welches er wohl selbst angefertigt hatte. Offensichtlich wollte das Mitglied der Künstlergruppe damit die Professorin und ihre Student*innen provozieren, erntete aber nur peinliches Schweigen. Diskutiert wurde darüber nicht, sodass das Ruangrupa-Mitglied schließlich auf Zoom sein eigenes Gesicht im Video zeigte: Rauchend und betont abfällig gegenüber den interessierten Mitstudent*innen. Er hatte sich also durchaus mit dem Thema Antisemitismus auseinandergesetzt, ohne jedoch eine Diskussion im studentischen oder öffentlichen Rahmen angestoßen zu haben. In der Folge war an der KSH und der Uni von einer breiten engagierten Einbindung der Studentenschaft in den Entstehungsprozess der d15, wie sie bisher üblich gewesen war, nichts zu hören (später ergänzend hinzugefügt: dies erst ab 13.04.22). Das Thema Künstlerkollektive wird von einigen Dozent*innen an der KSH ohne Verbindung zu ruangrupa in Seminaren 2020 bis heute eingebracht. Der Kontakt zum "Kollektiv" ruangrupa aber fehlt. Man hat wohl vieles zu verbergen und hält sich auch bei Vorveranstaltungen im ruruhaus gegenüber der breiten Öffentlichkeit zurück. Die Einstellung von Mitarbeiter*innen, die von den lokalen Verantwortlichen der
documenta gGmbH getätigt wird, ist anders als bei Szymczyks d14, von Unprofessionalität und Rechtswidrigkeiten bestimmt. Ausschreibungen für Stellen werden vom "Bewerbungsteam" nicht nach der Professionalität der Bewerber*innen ausgewählt, wie dies in einem demokratischen System gesetzlich festgeschrieben ist, sondern nach dem Prinzip der Veternwirtschaft verteilt. Verantwortlich für diesen Missbrauchswirtschaft sind Frau Schormann, ein Pseudonym Tomke Aljets, Ayse Gülek und die "Bewerbungsleiterin" Brigitte Gabler, sowie die Vorstände der documenta gGmbH. Alle wurden konkret dazu informiert, dass eine Kunstpädagogin und Kunstwissenschaftlerin, die einen Masterabschluss in Kunstwissenschaften von 1,0 mit Schwerpunkt documenta und mehrjährige Berufserfahrung vorweisen konnte, erst auf mehrfache Nachfrage eine Absage erhielt. Zugleich propagiert deren Partei gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität! Für die Verantwortlichen ist Ausgrenzung und Hass zur Regel geworden. Sie werden für ihre Fehler - und seinen sie auch noch so gravierend - nicht zur Rechenschaft gezogen. Denn auf Schilderung des Sachverhaltes bekommt man weder in der lokalen noch in der überregionalen SPD eine Antwort. Welche Personen für die Arbeit auf der d15 ausgesucht werden, bestimmt nicht ruangrupa, sondern Frau Gabler. Mitwisser dieser Machenschaften ist der OB Geselle, der hier zweifach angeschrieben wurde.
Insgesamt: Was das BgA als Diskussionspunkt in Bezug auf antisemitische Tendenzen der d15 in die öffentliche Debatte hineintragen möchte (Siehe auch HNA vom 26.03.22) ist für die Verantwortlichen höchst brisant. Ruangrupa wird ihre wirklichen Ansichten zum Antisemitismus nicht offenlegen, denn das dürfen die Verantwortlichen der
documenta gGmbH nicht zulassen, um ihre eigene perverse und ausgrenzerische Politik nicht offenlegen zu müssen. Brauchen wir Kollektive, die im Kern nur antidemokratische Ausgrenzungsmechanismen bedienen? Was auch immer auf der d15 zu sehen sein wird, dem Kollektivgedanken wird das wohl eher schaden als nützen, wenn er nur als Fassade für ein antidemokratisches System missbraucht und geschändet wird, welches zumindest strukturell dem Antisemitismus näher steht als der Demokratie. Warten wirs ab.

10.08.2019

Als Kunstvermittlerin auf der documenta 14 wurde Regula Rickert für eine wissenschaftliche Erhebung  nachträglich zu einer Stellungnahme aufgefordert
:
 
1. Konnte das "Unlearning"-Prinzip zufriedenstellend umgesetzt werden? Was war
eventuell schwer umsetzbar?

Nein, es konnte nur sehr bedingt umgesetzt werden. Menschen erkennen neurowissenschaftlich nur das, was den eigenen Erfahrungen mindestens ähnlich ist. Man nimmt nur auf, was einen Wiedererkennungsanteil hat. Von da aus findet eine Erweiterung des Horizontes, also Lernen statt. "Verlernen" kann man deshalb nur das, was mit Ähnlichkeitserfahrungen überschrieben wird. Dieser Prozess beginnt mit der Anerkennung und Einbringung der vor den Kunstwerken erinnerten alten Erfahrungen der Besucher*innen. Von einem Containment dieser gemeinsamen aktualisierten Zusammenschau aus kann sich ein Raum öffnen, in dem Neues aufscheint und zugelassen werden kann. Die Beteiligten verlernen nicht, sondern verschieben den Schwerpunkt ihres Bewusstseins auf eine neue Ebene. Altes wird dann nicht verlernt, sondern eher vergessen.

 
2. Wie bist du mit den Erwartungen oder der Kritik umgegangen, die einige
Besucher*innen hatten?
Ich bin als Kunstpädagogin sehr schnell auf die klassische pädagogische "Führung" gewechselt: Zuerst Sicherheit durch Grundinfos bieten, Räume öffnen, die Worte der Beteiligten wiederholen und damit Anerkennung vermitteln, zusammenfassen und echte offene Fragen formulieren. Gemeinschaft bilden, Konflikte zulassen ohne zu verurteilen, aber auch Grenzen setzen, wenn die Gruppe verletzt wird.

3. Bist du bei der Umsetzung von Methoden auf Probleme gestoßen? Wenn ja, welche?
Ich habe über 30 Jahre als Kunstpädagogin hinter mir. Ich liebe diese Arbeit und hatte auch mit schwierigen Gruppen (Leiter von zeitgenössischen Museen, seelisch-geistig Benachteiligten ec.) keine Probleme. Ich bin so oft persönlich gebucht worden, weil sich die Qualität meiner Arbeit schnell herumgesprochen hat. Ich werde niemals einer Gruppe von Menschen ein Konzept überstülpen, sondern immer erst einmal eine gemeinsame Kommunikationsbasis schaffen und dann die Leute dabei unterstützen sich zu äußern, selbstverständlich auch Fachinfos einstreuen, soviel und wo es gewollt ist.

4. Hast du das dialogische Format stets durchhalten können oder gab es Formatwechsel?
Ja, der Beginn war immer "Führung", um Sicherheit zu vermitteln, dann wechselten Phasen des Dialogischen mit Phasen der Führung ab. So haben die Leute am meisten davon. Manchmal habe ich auch die Führungskompetenz an jemanden in der Gruppe deligiert, um sie wieder zu übernehmen, wenn es sinnvoll erscheint.

5. Was sind grundlegende Problematiken der Vermittlung der d14, die dir aufgefallen sind?
Die Ausbilder*innen für die Kunstvermittlung waren alle weniger gut ausgebildet als ich. Sie hatten auch weniger Menschenkenntnis und Berufserfahrung und wollten sich meistens nur persönlich profilieren. Viele waren durch die lokal herrschende SPD protegiert und ausgesucht worden, nicht auf Grund ihrer fachlichen und menschlichen Kompetenz. Diese braucht man aber im Umgang mit Kunstvermittlung. Kunstvermittlung zur Selbstprofilierung zu gebrauchen ist nicht sinnvoll.

6. Was sollte sich an den Arbeitsbedingungen ändern?
Eine von der Politik unabhängige Organisation würde Kunstvermittler*innen auf Grund von Fachkompetenz, Sozialkompetenz und Beziehungskompetenz aussuchen und gut dafür bezahlen. Dann käme auch Fachleistung und Dialogfähigkeit heraus!

7. Was kann die documenta 15 von der documenta 14 / von Athen lernen?
Dass immer neue, auf Sensation getrimmte Konzepte wesentlich störanfälliger sind als bodenständige, eine nicht von pervertierten Politiker*innen bestimmte Kunstvermittlung. Dabei hängt eine gute Kunstvermittlung sowohl von wissenschaftlicher Fundierung als auch von Weltoffenheit und sozialer Beweglichkeit ab. Perversiland brauchen wir einfach nicht mehr, weder bei der lokalen Polit-Orga noch bei der Firma Avangarde noch beim politischen Überbau, der die Arbeitenden nur ausbeuten will.