Wann ist eine Therapie erfolgreich?
 
Der Erfolg einer Therapie hängt nach heutigem Forschungsstand (Orlinski 1994) nicht von der Therapiemethode als solcher ab, sondern davon, ob das subjektive Krankheitsmodell des Patienten, die Art der Störung, die Therapiemethode und die therapeutische Beziehung zwischen Patientin und Therapeutin zusammenpassen. Es ist also im Wesentlichen die therapeutische Beziehung, die heilend wirkt. Entscheidend für den Erfolg einer Therapie sind demnach nicht die Interventionen des Therapeuten, sondern ob der Patient das Beziehungsangebot des Therapeuten wahrnehmen und annehmen kann, ob er ausreichendes Vertrauen in die Beziehung zu seinem Therapeuten entwickeln kann. In vielen Fällen geht es aus meiner Sicht für Patienten besonders darum zu erleben, dass der Therapeut das Ausmaß und die Unerträglichkeit der Gefühle des Patienten (er)tragen kann.
   
In der Kunsttherapie entwickelt sich die therapeutische Beziehung zwischen der Patientin, ihrem Kunstwerk und der begleitenden Therapeutin. Innerseelisch bewegt sich der Mensch in einem ständigen Wechsel zwischen dem Erleben der jeweiligen Beziehung zu einem Anderen und einer Symbolisierung dieses Erlebens. Seelisches Erleben und Symbolisieren beeinflussen sich gegenseitig und bilden neue emotionale Grundmuster aus, welche zu einer ständigen Neukonfiguration des Selbst beitragen (Greenberg 2006)
 
In der Kunsttherapie und in der Psychotherapie geht es darum, emotionale Prozesse zu differenzieren und in das Selbstbild zu integrieren. Emotionen sind für die Konstruktion unseres Selbst fundamental. Sie bilden einen zentralen Aspekt unserer sich von Augenblick zu Augenblick weiterentwickelnden Selbstorganisation (Greenberg 2006). Emotionen entstehen auf der Basis von vorbewussten, automatisch ablaufenden Bewertungen des Erlebens einer Situation und basieren auf den Bedürfnissen, Zielen und Wünschen einer Person. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit und tragen entscheidend zu unserem Selbstverständnis bei.
 
Schon Carl Rogers (1956) ging davon aus, dass jeder Mensch über umfassende Fähigkeiten verfügt sich selbst zu verstehen und die eigenen Verhaltensweisen und Lebensumstände konstruktiv zu verändern. Dies können Patienten in einer therapeutischen Beziehung besonders gut, wenn sie die Bedeutung ihrer Probleme körperlich wahrnehmen und in Worten, Gesten, Bildern oder Tönen zum Ausdruck bringen können (E.T. Gendlin 1998). In besonders fruchtbaren Momenten können sie genau und umfassend ausdrücken, was sie in einem bestimmten Augenblick innerlich erleben.

   
Zur Therapie kommen Menschen, die verletzt, ängstlich, gespalten oder uneins mit sich selbst und ihrer Beziehung zu anderen sind. Sie haben Erfahrungen gemacht, die sie nicht verstehen oder akzeptieren können, gegen die sie sich wehren, weil sie mit ihrem Selbstkonzept nicht vereinbar sind. Die Vorstellungen, die wir von uns selbst haben, entsprechen den Erwartungen, die wir an das Verhalten Anderer uns gegenüber haben. Das Gesamtbild unserer Vorstellungen von uns selbst und unseren Beziehungen zu Anderen hat sich aus früheren Erfahrungen entwickelt und bildet die Struktur unseres Selbst. Dieses Selbst wird uns erst in den Beziehungen zu anderen Menschen bewusst. Wenn hier Unstimmigkeiten auftauchen, die mit unserem Selbstkonzept nicht vereinbar sind, fühlen wir uns bedroht, abgelehnt oder beängstigt. Ziel einer Therapie ist das Erkennen dieser unbewusst gebliebenen Gefühle, ihre Bedeutung und Integration in unser Selbstkonzept. Wenn die Integration einer belastenden Erfahrung gelingt, ändert sich unsere Bewertung der Erfahrung und unsere Beziehung zu uns selbst. Wir sind dann weniger verletzlich, in Konfliktsituationen stabil und können unsere Bedürfnisse besser vertreten. Therapie dient in diesem Sinne nicht nur der Symptombeseitigung, sondern der Persönlichkeitsentwicklung des Individuums, welches sich in einem lebenslang andauernden Entwicklungsprozess befindet.
 
Bowlby (2006) geht in seiner Bindungstheorie davon aus, dass der Mensch ein angeborenes Bedürfnis nach Bindung, nach Sicherheit und Erreichbarkeit seiner Bindungspersonen hat. Dieses innere Bindungssystem wird besonders in Krankheitssituationen, bei Kummer und Not aktiviert. Es dient der Minderung von Angst und Bedrohung und stellt eine sichere Basis für lebenslanges Lernen und die Verarbeitung von Konflikten dar. Erst wenn die Beziehung zu einer Therapeutin sich als sicher und geschützt erweist, kann sich in der Therapie das Interesse an der Erforschung tieferer seelischer Ebenen entwickeln. Wenn Patienten in der Therapie ein zu hohes Maß an Angst, Erregung oder Misstrauen entwickeln, brauchen sie jeweils zuerst den Rückhalt und die Abklärung ihrer Beziehung zum Therapeuten.
 
In der Therapie werden Patienten darin unterstützt auf die Art und Weise zu achten, wie ihr Körper auf ein Problem reagiert, auf ein anfänglich vages Gefühl, welches sich durch fortgesetzte Schritte zwischen Erleben und Symbolisieren (in Wort, Farbe, Bild, Geste oder Ton) in einem Abwägprozess konkretisieren und in seiner Stimmigkeit überprüfen lässt. Dies findet in der Kunsttherapie sowohl in der Auseinandersetzung mit dem Bild als auch im Gespräch mit der Therapeutin statt. Die differenzierte Symbolisierung und das Erleben der Bedeutung des eigenen Körpergefühls geht mit einer
unmittelbaren Veränderung des Körpererlebens einher: Es stellt sich Entspannung, Erleichterung, Erkenntnis oder eine Erweiterung der Perspektiven ein. Die Aufmerksamkeit wendet sich unwillkürlich und nicht wertend dem bewussten Erleben des gegenwärtigen Augenblicks und der darin entstehenden Bedeutung zu. Häufig entwickelt sich daraus ein Erleben von Intensität, Kraft, Kreativität oder Vollständigkeit, ein umfassender Antrieb und zukunftsweisende Motivation. Diese „Aktualisierungstendenz“ (Rogers 1983) ist ein dem Menschen angeborenes zentrales Entwicklungsprinzip, welches dem innersten Antrieb des Menschen zur Selbstentwicklung und zum konstruktiven Einsatz seiner Möglichkeiten in der Wirklichkeit entspricht. Diese Aktualisierungstendenz gilt es freizusetzen. Die sorgfältige und umfassende Freisetzung von unbewussten Emotionen allein, sei es im Bild oder im Gespräch, erzeugt noch keine optimalen Therapieerfolge (Greenberg, Pascual-Leone 2006). Erst ihre intensive Reflektion in der therapeutischen Beziehung gibt der emotionalen Verarbeitung des Patienten den Halt und die Basis zur Entwicklung eines aktuellen Selbstkonzeptes und der Motivation zu konstruktivem Handeln. In diesem Sinne muss Kunsttherapie immer auch zugleich Psychotherapie sein.
 
Regula Rickert im Oktober 2008

Quellen:

J. Bowlby: Bindung und Verlust. Vol.1, 2006.

E.T. Gendlin: Focusing-orientierte Psychotherapie. 1998.

L.S. Greenberg: Emotionsfokussierte Therapie. DGVT-Verlag, Tübingen 2006.

L.S. Greenberg, A. Pascual-Leone: Emotion on Psychotherapy. Journal of Clinical Psychology 2006.

C. Rogers: Entwicklung der Persönlichkeit. 1983.